2     Funktionelle Anatomie des gesunden Hüftgelenks
 

2.1   Grundlegender Aufbau und Funktion eines Gelenks

Jedes Gelenk besteht aus einem auf knöchener Basis konvex geformten Gelenkkopf und konkaver Gelenkpfanne. Kopf und Pfanne bilden eine Kongruenz. Je nach Form der kongruenten Gelenkkörper und ihrer Artikulation kann man eine Einteilung in einachsige ( Scharnier- und Zapfengelenk ), zweiachsige ( Ellipsoid- und Sattelgelenk ), drei- oder vielachsige ( Kugel- und Nußgelenk ) und straffe Gelenke vornehmen. Sie zeichnen sich durch ihre anatomisch definierten Freiheitsgrade aus. Die Gelenkflächen sind mit einem hyalinen Knorpel von 2 bis 6 mm Dicke überzogen, "im zentralen Teil der Gelenkfläche dicker als im peripheren, an den konvexen Abschnitten kräftiger ausgeprägt als an den konkaven Teilen" (Tittel, K., /112/, S. 50). Größere und stärker beanspruchte Gelenke weisen meist eine dickere Knorpelschicht auf als kleinere und weniger belastete. Der Gelenkspalt zwischen den artikulierenden Gelenkflächen sichert die Gelenktrophik durch die Synovia und ist ein Qualitätszeichen des Gelenkzustandes. Das Gelenk wird von einer Gelenkkapsel umschlossen, die sich in die innere Gelenkkapselschicht
( Membrana synovialis ) und die äußere Gelenkkapselschicht ( Membrana fibrosa ) strukturiert. Die innere Gelenkkapselschicht produziert die für das Gelenk äußerst wichtige Gelenkschmiere ( Synovia ), die sowohl für eine optimale " Schmierung " und Ernährung der Gelenkkörper, vor allem des hyalinen Knorpels (bradytrophes Gewebe), als auch für den Abtransport von Stoffwechselschlacken verantwortlich ist. Sie wird durch das synoviale Kapillarnetz versorgt. Das Gelenk sichert seinen Grundenergiebedarf über glycolytische Prozesse ab. Deshalb ist eine regelmäßige und ausreichende Entschlackung sehr wichtig. Die Stabilität des Gelenks wird durch Verstärkungsbänder der Gelenkkapsel gewährleistet. Eine gut entwickelte Skelettmuskulatur (Belastungskompensation) sowie ein intaktes Binde- und Stützgewebe (z.B. Sehnen und Bänder, Knorpel, Knochenbau ) sind Garant für eine anforderungsgerechte Gelenkstabilität. Für eine optimale knochenprotektile Belastungsübertragung weisen einige Gelenke ( z.B. Articulatio genus ) Menisken auf, die mit den angrenzenden Gelenkflächen sog. Teilgelenke bilden. Zu solchen Sonderstrukturen zählen auch die Schleimbeutel ( Bursa synovialis ). Ein Gelenk mit seinen Bestandteilen bildet ein biologisches System oder auch eine Funktionseinheit. Dieses wird bestimmt durch:

- Formstabilität durch den knöchernen Unterbau

- qualitätserhaltende Trophik des Gelenkknorpels

- Produktion einer optimal zusammengesetzten Gelenkflüssigkeit

- angepaßte Belastungsverteilung durch Kapselbandapparat und Muskulatur

- adäquate funktionelle Inanspruchnahme des Gelenks.

Es gilt der Grundsatz: Adäquate Bewegung sichert optimale Ernährung des Gelenks ( speziell des hyalinen Knorpels ) und damit Strukturerhaltung!.

Jede Störung innerhalb dieses Systems kann eine Funktionseinschränkung oder Veränderungen in den anderen Komponenten und letztlich irreversible Schäden am Gelenkknorpel oder sogar an den subchondralen Basen der Gelenkflächen zur Folge haben ( z.B. Arthritis ). " Nichtgebrauch eines Gelenks, gleich welcher Ursache, hat somit eine Störung der Knorpelernährung (Durchsaftung des Gelenkknorpels) und somit eine Störung des Knorpelstoffwechsels zur Folge." (Schmidt, H., /96/, S.46) Fehlende Entwicklungsreize während des Wachstumsprozesses können zu bedeutenden Entwicklungsstörungen ( Unterent-wicklung ) am gesamten Gelenksystem führen.

Der gesunde hyaline Gelenkknorpel sichert durch seine spezifischen Eigenschaften eine hohe Belastbarkeit des entsprechenden Gelenks. Deshalb können Schäden am Gelenkknorpel einen bedeutenden Funktions- und Belastbarkeitsverlust ( je nach Art und Schwere der Verletzung bzw. Zerstörung des Gelenkknorpels ) der Funktionseinheit Gelenk hervorrufen. Der hyaline Knorpel ist gefäßlos. Er besteht aus Knorpelzellen
( Chondrozyten ) und zwischengelagerten Faser- und Füllsubstanzen, der sogenannten Matrix. Das Verhältnis zwischen Grundgerüst und Matrix beträgt 1 : 10. Damit überwiegt die Matrix. Die kollagenen Faserstrukturen in der Knorpelgrundsubstanz bilden ein auf Zug belastbares dreidimensionales dichtes Netzwerk, in welchem gebundene Eiweißzucker, sogenannte Proteoglykane ( Glucosaminoglucane, Chondroitinsulfat und Keratansulfat durch Hyaluronsäure zu einem Komplex verbunden ) eingeordnet sind. Die Proteoglucane und Glucosaminoglucane üben eine ordnende Wirkung auf die kollagenen Fibrillen aus. Eine biochemische Zusammensetzung des hyalinen Gelenkknorpels kann näherungsweise mit 15-20 % Kollagen, 5 % Glucosaminoglucane, 5 % Eiweißsubstanzen, 75 % Intercellularsubstanz (vgl. Noack, W. in /125/, S. 20) beschrieben werden. Diese Proteoglucane bestimmen durch ihr hohes Wasserbindungsvermögen Formkonstanz und Elastizität des hyalinen Knorpels ( Wasserkissenfunktion ) und sichern damit eine hohe Druckresistenz. " Der durch diese Fesselung ( Kollagenfasernetz; d.A. ) gebändigte osmotische Druck erreicht etwa 3 atm. Die Knorpelhärte ist somit direkt abhängig von der Intaktheit des Kollagenfasernetzes." (Seesko, H., /102/, S.38) Die Matrix besitzt eine Halbwertszeit von nur einigen 100 Tagen und wird von den Chondrozyten kontinuierlich produziert. Im Gegensatz zur Matrix ist die Knorpelgrundsubstanz auf Lebenszeit angelegt. Sie verliert mit dem Wachstumsende ihre Eigenschaft, sich mitotisch zu teilen (Zellen vom sog. postmitotischem Typ). Damit ist nach dem Abschluß des Längenwachstums keine Regeneration mehr möglich. Deshalb sind Schäden am Grundgerüst des hyalinen Knorpels irreversibel und Ziel einer Behandlung ist dann, die degenerativen Gelenkabnutzungsprozesse zu " stoppen " oder zumindest zu verzögern. Das Netzwerk des hyalinen Knorpels bildet kleine Funktionseinheiten ( Domänen ), die bei Belastung elastisch verformt und komprimiert werden und dadurch ihr Gewebswasser in benachbarte, weniger belastete Domänen abgeben. Damit wird klar, daß die Belastungsgeschwindigkeit Einfluß auf die Belastungsgrenze des hyalinen Knorpels hat. Bei extrem schnellen Druckbelastungen ( Schnellkraftsportarten / Kampfsport ) nimmt er eine glasharte Konsistenz an und kann traumatisiert werden. Der hyaline Knorpel verfügt durch seinen Bau über erstaunliche mechanische Eigenschaften.
Er ist für die knochenprotektive Umformung einwirkender Druck- und Schwerkräfte sowie Realisierung einer reibungsarmen Bewegung verantwortlich. Der Reibungskoeffizient im gesunden Gelenk beträgt 0,003 bis 0,02, dies ist eine Zehnerpotenz niedriger als in technisch hochwertigen, hydrodynamisch geschmierten Lagersystemen (vgl. Zippel, H., /128/, S. III). Die Ernährung des hyalinen Gelenkknorpels erfolgt einerseits durch die Synovia. Dieser Prozeß wird über Diffusion bzw. über das Schwammprinzip durch Be- und Entlasten realisiert. Hier wird deutlich, daß ein häufiges, gelenkadäquates, physiologisches Durchbewegen der Gelenke notwendig ist, um eine optimale Verteilung der Synovia im Gelenkinnenraum zu gewährleisten. Die zweite Ernährungsquelle des hyalinen Knorpels ist das subchondrale Gefäßsystem der entsprechenden Knochenstrukturen. Das wachsende Gelenk hat den Vorteil, daß der Gelenkknorpel noch von Gefäßen des subchondralen Bereiches direkt erreicht wird. Eine frühzeitige Sklerose der subchondralen Strukturen, meist Folge einer Rißbildung in diesem Bereich, führt zu einer Mangelernährung des Gelenkknorpels und damit unausweichlich zu degenerativen Gelenk-veränderungen. Der funktionelle Reiz des hyalinen Gelenkknorpels ist der intermittierende Druck, der durch eine mahlende Drehdruckbewegung und rollende Reibung ohne großen Krafteinsatz gekennzeichnet ist. Dauerdruck ( statische Belastung ) ist hingegen ein absolut vernichtender Reiz für den hyalinen Knorpel. Anatomische Normabweichungen und Fehlbildungen können einen solchen negativen Reiz bedingen. Aufgrund der Bradytrophik des Gelenkknorpels vollziehen sich Adaptationen sehr langsam, meist über Jahre hinweg. Dennoch kann die Füllsubstanz auf kurzzeitige Belastungssteigerung schnell reagieren, indem sie durch eine erhöhte Flüssigkeitsaufnahme die Knorpelschicht vergrößert ( sog. temporäre Dickenzunahme ) und damit gleichzeitig kleinere Gelenkinkongruenzen ausgleicht. Diese kurzzeitige " Hypertrophie " bildet sich nach ca. 30 min Belastungspause zurück. Junges hyalines Knorpelgewebe besitzt eine bessere Adaptationsfähigkeit als älteres Gewebe. Das gesunde menschliche Gelenk besitzt eine enorm breite Toleranz. Wie Groh (1962) anhand eines Kraft-Frequenz-Diagrammes des Hüftgelenkes nachwies, wird die von Pauwels errechnete Grenzbelastung von 220 kp/cm² Knorpelfläche zur Entstehung einer Coxarthrose ( Hüftgelenksarthrose ) selbst bei leistungssportlichen Laufbelastungen ( 10 000 m - Läufer: 50 kp/cm² Knorpelfläche ) bei weitem nicht erreicht. (Reichelt, A., /89/, S.274) Damit ist bei gesunden Gelenken langjähriges leistungsorientiertes Sporttreiben als Ursache für die Entstehung von Arthrosen auszuschließen. Das Nervensystem des Gelenks ermöglicht durch Propriorezeptorengruppen, insbesondere durch die sog. Gelenkspindeln, die Feinsteuerung der Gelenkmotorik und stellt gleichzeitig den natürlichen Überlastungsschutz dar.

 

 

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Abb. 1 Schematischer Aufbau eines Gelenks ( Frontalschnitt )
( Tittel, K., /112/, S. 74 )

1 - konvexer Gelenkkopf
2 - konkave Gelenkpfanne
3 - hyaliner Gelenkknorpel
4 - innere Gelenkkapselschicht
5 - äußere Gelenkkapselschicht
6 - Gelenkschmiere- Ansammlung
7 - Verstärkungsbänder der Gelenkkapsel

 

 

 
2.2   Anatomie des gesunden Hüftgelenks

 

Das Hüftgelenk ( Articulatio coxae ) des Erwachsenen ist funktionell ein modifiziertes dreiachsiges Kugelgelenk, das aufgrund seiner anatomischen Besonderheiten auch als Nußgelenk bezeichnet wird. Es ermöglicht Bewegungen in allen drei Ebenen des Raumes und Rotationsbewegungen. Die Sicherung dieses Gelenkes erfolgt durch seine anatomische Bestimmtheit ( knöcherne Gelenkteile ), einen kräftigen Bandapparat und die das Hüftgelenk von allen Seiten umgebende Muskulatur. Seine Komplexität und Belastungstoleranz resultieren entwicklungsbedingt aus der besonderen Mittlerfunktion von Körperstamm und unteren Extremitäten ( aufrechter Gang ).

 

2.2.1   Hüftgelenkspfanne ( acetabulum )

 

Die Hüftgelenkspfanne, die beim Erwachsenen einer Hohlhalbkugel entspricht, wird beim Heranwachsenden durch Bestandteile des Darmbeines ( Os ilium ), des Sitzbeines ( Os ischii ) und des Schambeines ( Os pubis ), die sich durch die hyaline Knorpelschicht der Y-Fuge gemeinsam zum Hüftbein ( Os coxae ) vereinigen, gebildet. Der Krümmungsradius der Hohlhalbkugel beträgt im Mittel 2,7 cm und ihre Knorpelfläche 16 cm² (Tönnis, D., /114/, S.1). Die Hüftgelenkspfanne ist nicht vollständig mit hyalinem Knorpel überzogen, sondern nur an einem 2 cm breiten, bis zu 3 mm dicken, mondsichelförmigen Pfannenabschnitt, der Facies lunata, der den physiologischen Belastungzonen der artikulierenden Gelenkkörper entspricht. Die dadurch entstehende Vertiefung in der Mitte der Gelenkpfanne ( Fossa acetabuli ) ist mit lockerem Binde- und Fettgewebe ausgefüllt, das dünne Blutgefäße enthält und zur Pufferung von Erschütterungen des Schenkelhalskopfes ( Caput femoris ) auf die Hüftgelenkspfanne dient. Der knöcherne Pfannenkörper findet seine Fortsetzung in einen faserknorpeligen, bis zu 1 cm breiten prismatischen Randsaum - der Pfannenlippe ( Labrum acetabulare ) und umschließt damit etwas mehr als die Hälfte des Schenkelhalskopfes ( " Nußgelenk " ). Sie liegt am Hüftkopf eng an und wird von der kräftigen Gelenkkapsel mit umschlossen. Der Gelenkpfannen / -kopf / -bänderkomplex gewährleistet eine außerordentlich große Belastbarkeit. Der am unteren Pfannenrand verbleibende Einschnitt ( Incisura acetabuli ) wird durch ein Querband - das Lig. transversum acetabuli - überbrückt. Die Hüftgelenkspfanne ist nach kaudal-lateral geöffnet. Diese Öffnung läßt sich durch eine an den Pfannenrändern tangential angeschmiegte Ebene - die sog. Pfanneneingangsebene ( nach v. Lanz ) - beschreiben. Ihre Lage wird durch den Winkel zwischen Körperlängsachse und der Tangente am Pfannenrand bestimmt. Der durchschnittliche Wert dieses Neigungswinkels beträgt 42°, die mittlere Streuung wird nach v. Lanz mit Werten zwischen 37° und 47° angegeben. Neugeborene weisen eine mittlere Neigung von 31°, Kinder von 10 Jahren bereits eine mittlere Neigung von 39° auf. Die eingangs erwähnte Y-Fuge verknöchert mit Wachstumsende und ist beim Erwachsenen in der Regel nicht mehr nachweisbar. Kommt es während der physiologischen Entwicklung zu sog. Ossifikationsrückständen der Pfannenränder oder fehlt der physiologische Entwicklungsreiz
( zentrischer Druck ) des sphärischen Schenkelhalskopfes, der für die Ausbildung einer genügend tiefen Hüftgelenkspfanne notwendig ist, kommt es zu einem Ausprägungsdefizit - einer Pfannendysplasie.

 

2.2.2   Schenkelhalskopf, Schenkelhals und Femurtorsionswinkel

 
Schenkelhalskopf ( caput femoris )

Der Schenkelhalskopf stellt zwei Drittel einer Kugel mit konstantem Krümmungshalbmesser von ca. 2,5 cm dar. Seine Mittelpunktslage entspricht im Normalfall der der Hüftpfanne. Der obere Pol des Caput femoris ist leicht abgeflacht und beherbergt die kleine dreieckige Grube ( Fovea capitis ). Damit erfolgt eine Belastungsverteilung auf einen Ring um den oberen Pol. Der Schenkelkopf ist zu zwei Dritteln überknorpelt, ventral und dorsal etwas tiefer als an den Seiten. Die Knorpelpartien von Kopf und Pfanne bilden am gesunden Hüftgelenk eine anatomische Einheit. Die Dicke des hyalinen Gelenkknorpels variiert entsprechend der Druckbelastung der Gelenkpartien. In den Hauptbelastungszonen ( etwas unter und vor der Mitte ) beim Gehen bzw. Stehen findet man Knorpelstärken von 2,7-3,7 mm ( nach v. Lanz u. Wachsmuth ) während zum Rand hin die Dicke nur noch 1,0-1,9 mm mißt. Ein für die Frühentwicklung des Hüftkopfes wichtiges Blutgefäß, welches im Lig. capitis femoris verläuft, findet in der Fovea capitis sein Ziel. In Gelenkneutralstellung liegen Fossa acetabuli, der Ursprung des Lig. capitis femoris und Fovea capitis einander gegenüber. Die entwicklungsbedingte Ossifikation des proximalen Femurendes wird von einem Kopfepiphysenkern sowie einem Kern im Bereich des Trochanter major gesteuert. Wachstumsstörungen ( verspätetes Erscheinen der Kerne ) können zu Dysplasien führen, die zwischen beiden Hüftgelenken nicht im Zusammenhang stehen müssen.
 

Der Schenkelhals ( Collum femoris )

Der Schenkelhals wird faßt vollständig von der Hüftgelenkkapsel umschlossen, die vorn bis zur Zwischenrollhügellinie des Schenkelbeines zieht und hinten bereits in der Mitte des Schenkelhalses endet. Seine Abwinkelung gegenüber dem Femurschaft wird durch Belastung und Funktion bedingt. So stehen die Wachstumszonen der Epiphysen im Normalfall senkrecht zum druckresultierenden Kraftvektor. Die sog. Antetorsion ermöglicht und limitiert die Innen- und Außenrotationsfähigkeit des Femurs. Die Neigung des Schenkelhalses wird durch den Centrum-Collum-Diaphysenwinkel ( CCD-Winkel nach Müller ), der auch als Neigungswinkel
( A. Fick ) oder Schenkelhalswinkel ( v. Lanz ) bezeichnet wird, dem nach innen offenen Winkel zwischen Schenkelhals- und Schenkelschaftachse, beschrieben. Im Mittel beträgt er bei Mann und Frau 125-126° ( Lange u. Pitzen ), während v. Lanz Schwankungen zwischen 120-133° für nichtpathologisch angab. Liegt die Gesamtheit der biomechanischen Faktoren im Normalbereich, so können durchaus auch größere CCD-Winkel für nichtpathologisch erklärt werden. Vor allem im Wachstum unterliegt der CCD-Winkel großen Schwankungen, beim Neugeborenen beträgt er ca. 150°, mit Beginn der Belastung ca. 140° und mit 15 Jahren ca. 133°. " Mit zunehmendem Alter und bei Osteoporose verringert er sich bis auf 120° ( v. Lanz 1950 ). " (Tönnis, D., /114/, S. 3) Pathologische CCD-Winkel gehen häufig aus mangelnder Kongruenz der Gelenkkörper und den daraus resultierenden muskulären Dysbalancen hervor.

 
Der Femurtorsionswinkel

Der Femurtorsions- oder auch Antetorsionswinkel ( AT-Winkel ) beschreibt die physiologische Drehung des Schenkelhalses gegenüber der transversalen Kniekondylenachse nach vorn. " Legt man ein Femur auf den Tisch, so weist der Schenkelhals nach medial oben, er ist antetorquiert. " (Hähnel, H. / Ehricht, H.-G., /42/, S. 289) Seine Bestimmung erfolgt durch das Anlegen der Tangente an den Kniegelenkkondylen und deren Schnitt mit der Schenkelhalsachse aus kranialer Aufsicht. Der normale Antetorsionswinkel beim Erwachsenen beträgt +14°. Es sind pathologische Abweichungen sowohl in Antetorsions- als auch Retrotorsionsrichtung möglich, wie auch Anteversion bzw. Retroversion des Schenkelkopfes beobachtet wurden ( vor allem nach langfristiger Lorenz-Behandlung ). Auch die Antetorsion unterliegt während der physiologischen Entwicklung deutlichen Veränderungen. Beim Neugeborenen gibt v. Lanz für die Antetorsion durchschnittlich 31° an. Bis zum Erwachsenenalter erfährt sie eine Abnahme bis auf 12°. " Bei einer Hüftdysplasie ist sie häufig erhöht. " ( Tönnis, D., /114/, S. 4 )

 

 

 

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Abb. 2 Einblick in die Hüftpfanne
( Tönnis, D., /114/, S. 1 )

 

 
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Abb. 3 Rechtes Hüftgelenk von vorn
( Atlas der Anatomie des Menschen..., /1/, S. 201 )

 

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Abb. 4 Winkelverhältnisse bei a Coxa norma, b Coxa vara, c Coxa valga,
d Coxa valga mit steiler Pfanne ( Tönnis, D., /114/, S. 31 )

 

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Abb. 5 Antetorsionswinkel ( Hähnel / Ehricht, /42/, S. 290 )

 

2.2.3   Achsendefinitionen - Schenkelschaftachse, mechanische Längs-, Femurschaft- und Kniebasisachse, Vertikallinie

 
Die Schenkelschaftachse verläuft durch die Mittelpunkte der Schaftquerschnitte der proximalen und distalen Drittelgrenze.

Die mechanische Längsachse des Beines verbindet bei gesunden anatomischen Verhältnissen die Gelenkmittelpunkte des Hüft-, Knie- und oberen Sprunggelenkes.

Die Femurschaftachse ist durch die durchschnittliche Femurdiaphysen-mittelpunktslage eindeutig bestimmt und bildet medial mit der Schenkelschaftachse den oben erwähnten CCD-Winkel.

Die Kniebasisachse ( auch Kniebasislinie ) ist die Verbindungslinie beider Femurkondylenflächen und mit der sog. Kniegelenksachse identisch. Sie steht senkrecht zur Vertikallinie ( auch Medianlinie oder Normale ).

 

2.2.4   Gelenksicherung

 
2.2.4.1   Bandapparat des Hüftgelenks
 

Der Bandapparat des Hüftgelenks ist sehr komplex und " schraubenartig " angelegt. Dies bedeutet, daß man bei Hüftgelenksstreckung von einem" zugedrehten " Bandapparat, bei Beugung der Hüfte hingegen von einer " aufgedrehten " ( entspannten ) Stellung der Bänder spricht. Das Lig. iliofemorale ( auch BERTINsches Band ) entspringt am vorderen unteren Darmbeinstachel ( Spina iliaca anterior inferior ), teilt sich in zwei Züge und zieht fächerartig zur Zwischenrollhügellinie ( Linea intertrochanterica ). Der obere kürzere Zug schränkt eine Adduktion und Außenrotation des Beines ein, der längere vordere hingegen hemmt mit dem gesamten vorderen Kapselanteil eine Überstreckung ( Retroversion ) des Spielbeines. Das Lig. iliofemorale ist mit 300 bis 350 kg Zugfestigkeit der stärkste Bandzug des menschlichen Körpers, 6 bis 8 cm lang, 1,5 cm dick und 2 bis 3cm breit. Seine Hauptfunktion besteht darin, das Becken bei Schwerpunktverlagerungen im Gleichgewicht zu halten und ein evtl. Nachhintenkippen des Oberkörpers zu vermeiden. Es sichert mit dem M. glutaeus maximus die aufrechte Haltung. Das Lig. pubofemorale nimmt seinen Ursprung am oberen Schambeinast und strahlt mit dünnen Fasern in die mediale Gelenkkapselwand. Es hemmt das Abspreizen des Beines und die Außenrotation des abduzierten Schenkels.
Die dorsal gelegene Gelenkkapselwand wird durch das vom Sitzbein kommende und zum oberen Ansatz des BERTINschen Bandes ziehende Lig. ischiofemorale verstärkt. Seine Funktion liegt in der Hemmung der Innenrotation, Adduktion und dorsalen Überstreckung. Die drei beschriebenen Bandzüge stehen außerdem mit dem sog. Ringband ( Zona orbicularis ) in Verbindung, das weder an einem Knochen entspringt noch an einem Knochen ansetzt. Da es einen kleineren Durchmesser besitzt als der Schenkelkopf, zieht es den Kapselschlauch derart zusammen, daß es scheint, daß der Gelenkkopf durch eine sehnige Schlinge ( oder auch " Knopfloch " ) gesteckt ist. Als fünftes Band trägt das Lig. capitis femoris zur Gelenkstabilität bei. Es zieht vom Pfannengrund ( Fossa acetabuli ) direkt zur gegenüberliegenden Kopfgrube ( Fovea capitis femoris ). Durch die Beherbergung wichtiger Blutgefäße in der Wachstumsperiode hat das Lig. capitis femoris eine wesentliche Bedeutung für die Entwicklung des Gelenkkopfes. Darüber hinaus scheint es für die Verteilung der Synovia eine entscheidende Rolle zu spielen.
 

Überblick des Bandapparates:

I a) oberes
b) vorderes Darmbein-Schenkelband ( Lig. iliofemorale ),
( 6-8 cm lang / 1,5-3 cm breit / Zugfestigkeit von 300-350 kg,
damit stärkster Bandzug des menschlichen Körpers ),
II a) äußeres
b) inneres Schambein-Schenkelband ( Lig. pubofemorale ),
III a) äußeres
b) inneres Sitzbein-Schenkelband ( Lig. ischiofemorale ),
IV Ringband ( Zona orbicularis ),
V Kopfband ( Lig. capitis femoris );
( im Inneren des Hüftgelenkes verlaufend ).

 

 2.2.4.2   Die Gelenkkapsel ( Capsula articularis )

 
Die straffe, trichterförmige, enganliegende Hüftgelenkskapsel ist die dickste und kräftigste unseres Bewegungsapparates. Sie entspringt am Rand der Hüftgelenkspfanne sowie am Querband und zieht vorne zur Zwischenrollhügellinie des Femurs und hinten zur Mitte des Schenkelhalses. Durch die Beteiligung der drei kräftigen Bänder Lig. iliofemorale, pubofemorale und ischiofemorale ist die Gelenkkapsel bis zu etwa 500 kg auf Zug belastbar und stellt somit einen entscheidenden Luxationsschutz des Hüftgelenks dar.

 

 2.2.4.3   Die Hüftgelenksmuskulatur

 
An dieser Stelle soll eine tabellarische Übersicht über die Muskeln des Hüftgelenks mit entsprechender Hauptfunktionszuordnung genügen. Es ist durchaus so, daß bei unterschiedlicher Gelenkstellung Teilmuskelzüge an anderen Bewegungs-realisierungen beteiligt sind. Alle diese Möglichkeiten zu erörtern würde den Rahmen der anatomischen Vorbetrachtungen sprengen. Entsprechende elektromyographische Untersuchungen wurden zum Nachweis geführt und sind in thematisierten wissenschaftlichen Publikationen zugänglich ( z.B. Inman 1953; Josef u. Williams 1957; Close 1964; Baumann u. Behr 1969; Burkhard u. Taillard 1973; Breitenfelder 1975 - aus Tönnis, D., /114/ ).

Anteversion  ( Beugung )

1. Lenden-Darmbeinmuskel ( M.iliopsoas )
2. gerader Schenkelmuskel ( M. rectus femoris )
3. Schenkelbindenspanner ( M. tensor fasciae latae )
4. Schneidermuskel ( M. sartorius )
5. mittlerer Gesäßmuskel ( vorderer Anteil ) ( M. glutaeus medius )

Retroversion ( Streckung )

1. großer Gesäßmuskel ( M. glutaeus maximus )
2. mittlerer und kleiner Gesäßmuskel  ( hintere Anteile ) ( M. glutaeus medius et minimus )
3. großer Schenkelanzieher ( M. adductor magnus )
4. ischiokrurale Muskulatur

Abduktion
1. mittlerer Gesäßmuskel ( M. glutaeus medius )
2. kleiner Gesäßmuskel ( M. glutaeus minimus )
3. birnförmiger Muskel ( M. piriformis )

Adduktion
1. Kamm-Muskel ( M. pectineus )
2. langer Schenkelanzieher ( M. adductor longus )
3. kurzer Schenkelanzieher ( M. adductor brevis )
4. großer Schenkelanzieher ( M. adductor magnus )
5. schlanker Muskel ( M. gracilis )
6. großer Gesäßmuskel ( M. glutaeus maximus )
7. vierseitiger Schenkelmuskel ( M. quadratus femoris )
8. innerer Hüftlochmuskel ( M. obturatorius internus )
9. Zwillingsmuskeln ( Mm. gemelli )

Innenrotation
1. mittlerer Gesäßmuskel ( M. glutaeus medius )
2. vorderer Anteil des kleinen Gesäßmuskels ( M. glutaeus minimus )
3. unterer Anteil des großen Schenkelanziehers ( M. adductor magnus )
4. Schenkelbindenspanner ( M. tensor faciae latae )

Außenrotation
1. Kamm-Muskel ( M. pectineus )
2. langer Schenkelanzieher ( M. adductor longus )
3. kurzer Schenkelanzieher ( M. adductor brevis )
4. mittlerer Gesäßmuskel ( M. glutaeus medius )
5. hinterer Anteil des kleinen Gesäßmuskels ( M. glutaeus minimus )
6. großer Gesäßmuskel ( M. glutaeus maximus )
7. birnförmiger Muskel ( M. piriformis )
8. innerer Hüftlochmuskel ( M. obturatorius internus )
9. äußerer Hüftlochmuskel ( M. obturatorius externus )
10. vierseitiger Schenkelmuskel ( M. quadratus femoris )
11. oberer und unterer Zwillingsmuskel ( M. gemellus superior et inferior )

(Tittel,K., /112/, S.267 und Tönnis, D., /114/, S. 8)

 

2.2.5   Blutgefäße des Hüftgelenks

 
2.2.5.1   Blutgefäßversorgung des Hüftkopfes und Schenkelhalses

 
Wesentlich für die Blutversorgung des Hüftgelenks ist der Gefäßkranz der Aa. circumflexa femoris medialis et lateralis, der aus der A. femoralis profunda entspringt. Wie bereits erwähnt, wird die Fossa acetabuli während des Wachstums und z.T. auch noch später durch die A. acetabularis, die mit dem Lig. capitis aus der Pfanne zum Kopf zieht, versorgt, die von der A. obturatoria geschickt wird. Weitere Gefäße zur Versorgung des Schenkelhalses und des Kopfes werden von der A. glutaea inferior et superior gespeist. Aus der A. circumflexa femoris lateralis verjüngt sich der R. colli ventralis. Neben der Versorgung des Trochanter major mit dem R. trochantericus major, wird die ventrale Seite des Schenkelhalses durchblutet. Die Hüftkopfversorgung sowie die Durchblutung der medialen, dorsalen und lateralen Halsregionen übernimmt die A. circumflexa femoris medialis. Besonders wichtig sind hier der R. nutritius capitis proximalis ( proximales Kopfgefäß ), der von lateral zum Kopf und während des Wachstums zur Epiphyse zieht, und der R. nutritius capitis distalis ( distales Kopfgefäß ) der von medial-kaudal den Caput erreicht und ebenfalls die Epiphyse versorgt. Des weiteren besteht noch eine Verbindung der Blutgefäße der Gelenkkapsel mit dem Schenkelhals
( retinakuläre Arterien ).

 

2.2.5.2   Blutgefäßversorgung der Hüftpfanne

 

Die Hüftgelenkspfanne wird entwicklungsbedingt durch drei wesentliche Zuströme versorgt. Aus der A. obturatoria zieht die A. praeacetabuli zum Schambein ( Os pubis ) und die A. infraacetabularis zum Unterrand der Pfanne. Der Iliumanteil und das Pfannendach werden von der A. supraacetabularis versorgt, die von der A. glutaea superior geschickt wird. Den Bluttransport zum dorsalen Pfannenbereich und Os ischii gewährleistet der Endast der
A.glutaea inferior, die A. retroacetabularis. Der Pfannenboden wird zusätzlich von der oben bereits genannten
A.acetabularis durchblutet. Zwischen den Gefäßen der Hüftpfanne und den Gefäßen von Caput und Schenkelhals bestehen feine Anastomosen, die eine evtl. Mitversorgung anderer Anteile ermöglichen.

 

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Abb. 6 Gefäßversorgung des Hüftgelenks, a Ansicht von ventral, b von dorsal
( Tönnis, D., /114/, S. 9 )
 
 

2.2.6   Nervenversorgung des Hüftgelenks

 
Das Hüftgelenk wird von drei großen Nervenästen versorgt. Der N. femoralis, der hauptsächlich den M. rectus femoris ansteuert, schickt Nervenfasern zum ventral gelegenen Teil des Gelenks. Von medial ziehen Nervenfasern des N. obturatorius an die Pfanne und dorsal übernimmt der N. ischiadicus die nervale Ansteuerung über den Muskelast des M. quadratus femoris. Durch diese Art der vegetativen Versorgung erklären sich diffuse Oberschenkel- bzw. Knieschmerzen bei Hüftgelenkserkrankungen.

 

2.3   Funktion des gesunden Hüftgelenks

 
Die Funktion des Hüftgelenks wird durch dessen Freiheitsgrade und die dadurch ermöglichten Bewegungen der unteren Extremitäten charakterisiert. Dem Hüftgelenk kommt eine bedeutende Mittlerfunktion von Körperstamm und unteren Extremitäten zu und es ist wohl das am stärksten beanspruchte Gelenk ( aufrechter Gang ) des menschlichen Bewegungsapparates. Die Komplexität unseres Bewegungsapparates läßt auch hier keine eindeutige Isolierung von Bewegungs- und Bewegungsumfangsrealisierung auf nur ein Gelenk, in unserem Fall auf das Hüftgelenk, zu. Die Aktivität des Hüftgelenks wird immer durch Mitbewegungen zum Beispiel des Beckens oder der Wirbelsäule ergänzt. Bewegungsrealisierungen der unteren Extremitäten machen Teilbewegungen im Hüftgelenk notwendig ( z.B. Tibiarotation ). Dennoch lassen sich sechs Grundbewegungen des Hüftgelenks herausheben: Anteversion ( Flexion oder Beugung ), Retroversion ( Extension oder Streckung ), Abduktion, Adduktion, Außen- und Innenrotation.

 

2.3.1   Anteversion ( Beugung )

 
Tittel gibt die normale Beugefähigkeit des Hüftgelenks bei aufrechtem Stand an. Demnach ist eine Beugung der Hüfte mit gestrecktem Bein bis 80°, bei gebeugtem Unterschenkel des Spielbeines bis 120° möglich. Bei der klinischen Diagnostik des Hüftgelenks erfolgt die Prüfung des Bewegungsumfangs in Rückenlage bei ausgeglichener Lendenlordose, so daß nur noch eine Beckenkippung nach vorn von ca.12° vorhanden ist ( nach Debrunner ). Aus dieser Stellung wird die Flexion bis zu einem spürbaren Mitgehen des Beckens bestimmt. Der normale Umfang beträgt so 130-140°.

 

 2.3.2   Retroversion ( Streckung )

 
Die Überstreckung des Spielbeines nach hinten ist im aufrechten Stand durch die physiologische Hemmung der Bertinschen Bänder nur bis 13° ausführbar. Die klinische Bestimmung der Extension erfolgt ebenfalls in Rückenlage. Die Lendenlordose wird durch Anbeugen und Fixieren eines Beines ( Thomas-Handgriff ) vollständig ausgeglichen. Wenn der untersuchte Oberschenkel flach auf die Unterlage gelegt werden kann, entspricht dies der Neutral-0-Stellung. Die Überstreckung wird nun durch weiteres Beugen des anderen Beines bei bleibender flacher Auflage des untersuchten Oberschenkels gemessen. Der Normalwert beträgt 12°. Bei entsprechender Beckenfixierung ist eine Untersuchung auch in Seitlage möglich.
 
 

2.3.3   Abduktion und Adduktion

 
Das Abspreizen ( Abduktion ) eines Beines um die Sagitalachse im aufrechten Stand kann mit einer Bewegungsamplitute von 40-60° zur Vertikalachse erfolgen. Das Grätschen beider Beine schließt im Normalfall einen Winkel von 80-120° ein. Das Heranführen ( Adduktion ) des abgespreizten Beines über die Körpermittellinie hinaus ist bis zu 10° möglich. Zur klinischen Diagnostik erfolgt die Untersuchung des Patienten in Rückenlage. Um die Beckenmitbewegung bei eingeschränkter Ab- bzw. Adduktion zu ertasten, wird die Beckenstellung durch Auflegen der Daumen- und Mittelfingerkuppe einer Hand auf die Spinae iliacae anteriores superiores kontrolliert. Die 0-Stellung ist dann erreicht, wenn die Verbindungslinie beider Spinae senkrecht zur Körperlängsachse steht. Bei dieser Untersuchungslagerung wird die normale Abduktion mit 30-50° und die Adduktion mit 20-30° angegeben
( vgl. Tönnis, D., /114/, S. 91 ).

 

2.3.4   Innen- und Außenrotation

 
Das Hüftgelenk ermöglicht durch seine " Nußgelenk "- Eigenschaften auch eine Innen- und Außenrotation. Die Innenrotation ( auch femorale Pronation oder Einwärtsdrehen ) ist im Stand mit gestrecktem Bein um 35° ausführbar ( vgl. Tittel, K., /112/, S. 258 ). Der Orthopäde mißt die Rotation in Bezug zur Spinaachse, die genau horizontal liegen sollte. Die Bestimmung des Bewegungsumfangs erfolgt sowohl in Bauch- ( Hüfte gestreckt ) als auch in Rückenlage ( Hüfte 90° gebeugt ) bei gebeugtem Kniegelenk. " Die normale Innenrotation beträgt bei Streckstellung im Hüftgelenk 30-40°, bei Beugung 40-45°. " ( Tönnis, D., /114/, S. 91 ) Bei der Außenrotation differieren die Angaben. Tittel nennt für die im Stand ausführbare Auswärtsdrehung 15°, Tönnis hingegen nennt für die oben genannte Diagnostik in Bauch- und Rückenlage einheitliche Werte von 40-50°.

 
Die Kombination der Grundbewegungen macht ein Beinkreisen möglich. Dieses läßt sich durch Bahnkurven auf einer imaginären Kugelsphäre darstellen.

 

 
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Abb. 7 Teilfunktionen des Hüftgelenks
( Kummer, B., /66/, S. 21 )
 
 
 
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Abb. 8 Bewegungsumfang des Oberschenkels im Hüftgelenk
( nach Lanz-Wachsmuth in Tittel, K., /112/, S. 258 )

 
 

 
2.4   Zur physiologischen Entwicklung des Hüftgelenks

 
2.4.1   Zur Entwicklung der Hüftpfanne

 
Die Anlage der Hüftgelenkspfanne erfolgt schon in früher Embryonalzeit mit der Vereinigung der knorpeligen Vorstufen von Os ilium, Os ischii und Os pubis in der 7. Woche. Die Ossifikationskerne entstehen im 3. und 4. Monat der Schwangerschaft. Die weitere Entwicklung vollzieht sich nun aus dem kreisrunden, nur kaudal offenen Pfannendachknorpel, der mit den drei Säulenknorpeln der Y-Fuge ( Wachstums-zone ) zwischen den drei Beckenknochen in Verbindung steht. Die Y-Fuge schließt sich bei Mädchen zwischen dem 13. und 16. Lebensjahr, bei Jungen zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr. Mit ca. 8-9 Jahren treten am Pfannenrand Knochenkerne auf
( oberer / vorderer / unterer Os acetabuli ), die hauptsächlich für den pubertären Wachstumsschub verantwortlich zeichnen. In sensitiven Wachstumsphasen ist besonders auf individuelle Belastbarkeitsparameter zu achten, da diese wesentlich vom Zustand der Epiphysenfugen bestimmt werden. Das Pfannenwachstum vollzieht sich in zwei Ebenen. Die erste betrifft den Pfannenerker, der die Besonderheit eines simultanen Übergangs von enchondraler
( knorpelnaher ) und periostaler ( die Knochenhaut betreffende ) Knochenbildung aufweist. Störungen in diesem Ossifikationsprozeß können zu einer Hüftdysplasie führen. Die zweite Ebene betrifft die Ausbildung einer genügend tiefen, kugeligen Hüftpfanne durch den Entwicklungsreiz ( zentrierter Druck ) des sphärischen Gelenkkopfes. Bleibt dieser aus oder ist er nur ungenügend, ist eine Unterentwicklung vorgezeichnet. Zahlreiche Tierversuche und unbehandelte ältere Hüftluxationen bestätigen diese Tatsache.
 

 

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Abb. 9 Y-Fuge am kindlichen Hüftgelenk
( Tönnis, D., /114/, S. 12 )

 
 

 2.4.2   Zur Entwicklung des Hüftgelenkkopfes und des Schenkelhalses

 

Für die Entwicklung von Hüftkopf und Schenkelhals sind drei Epiphysenkerne verantwortlich, denn zunächst sind Femurkopf bis Trochanter major nur eine einheitlich wachsende Knorpelanlage. Diese sind der Kopfepiphysenkern, der mit dem 2.-8. Lebensmonat erscheint, der Epiphysenkern des Trochanter major, welcher zwischen dem 2. und 7. Lebensjahr nachweisbar wird und der des Trochanter minor, der erst zwischen dem 6. und 11. Lebensjahr hervortritt. Mit Abschluß des Wachstums verknöchern die Kerne und es kommt zum Schluß der Epiphysenfuge. Dies ist beim männlichen Geschlecht zwischen dem 15. und 21., beim weiblichen zwischen dem 14. und 19. Lebensjahr der Fall. Verzögert sich das Auftauchen des Kopfepiphysenkernes über das Normale hinaus, so besteht ein berechtigter Verdacht auf ein krankhaftes Geschehen. Dies kann eine Einschränkung der Belastbarkeit zur Folge haben. Für eine normle Entwicklung des Hüftkopfes, des Schenkelhalses und der Pfannenabschnitte mit der Y-Fuge bedarf es einer sehr feinen Abstimmung mit regulärer Gelenkfunktion und Gelenkbelastung. Die statisch-muskuläre Belastung auf das Gelenk hat teil an der Ausbildung des CCD-Winkels wie auch der Kopfeigenschaften. Hier zeigt sich, daß die funktionelle Belastung des Gelenks entwicklungsphysiologische Bedeutung hat. Bei gesunder Entwicklung steht die resultierende Druckkraft senkrecht auf der Epiphysenzone. Bei Abweichungen, wie Coxa vara und Coxa valga, fällt die resultierende Kraft aus der Normalenebene heraus und erzeugt Zug- und Schubspannungen im Epiphysenbereich. Muskuläre Dysbalancen, wie sie zum Beispiel bei Spastikern in Form eines gesteigerten Adduktorentonus auftreten, erzeugen somit ebenfalls pathologische CCD-Winkel oder Änderungen der Femurtorsion.

 

2.4.3   Zur Blutgefäßversorgung während der fünf Entwicklungsphasen

 
Während der sog. Geburtsphase ( Zeit der Geburt ) wird die Versorgung des knorpeligen Hüftkopfes im wesentlichen durch ein Gefäßsystem innerhalb wie auch außerhalb der Kapsel durch die A. circumflexa femoris medialis gewährleistet. Zusätzlich übernehmen Gefäße des Lig. capitis einen kleinen Teil. Schenkelhals und Trochanterbereich werden von der A. circumflexa femoris lateralis versorgt. ( nach Trueta ) In der Kleinkindphase
( ca. 4 Monat bis 4 Jahre ) besteht bis zum Auftreten des epiphysären Knochenkerns im 1. Lebensjahr kein Zusammenhang von dorsolateraler und dorsomedialer Kopfversorgung ( v. Lanz u. Wachsmuth ). Nach dem Auftreten des Kerns vereinigen sich die Bezirke. " Der Hauptzufluß kommt nach Trueta zu dieser Zeit aus den metaphysären Gefäßen, welche mit vielen kleinen Ästen die Knorpelzone durchziehen, die später zur Epiphysenzone des Schenkelhalses wird. " ( Tönnis, D., /114/,S. 23 ) Die sog. Intermediäre Phase verläuft in etwa vom 4. bis zum 7. Lebensjahr. Mit der Ausbildung der Epiphysenzone und durch das starke Wachstum bilden sich die retinakulären Gefäße am Kopfzentrum zurück. Die Versorgung der proximalen Femurepiphyse erfolgt fast ausschließlich vom proximalen Kopfgefäß der A. circumflexa femoris medialis. Gefäße im Lig. capitis findet man während dieser Phase kaum. Eine Versorgung des Femurkopfes durch die Epiphysenzone hindurch erfolgt auch in der Präadoleszentenphase ( 9. bis 10. Lebensjahr ) nicht. Allerdings treten nun wieder häufiger Gefäße über das Lig. capitis an den Kopf heran. In der fünften, der sog. Adoleszentenphase, dringen nun durch den Schluß der Wachstumszonen Gefäße vom Schenkelhals in den Kopf vor und bilden mit den retinakulären Gefäßen und denen des Lig. capitis ein enges, für den Erwachsenen typisches, Gefäßnetz.

 

2.5   Biomechanik und Belastbarkeit des gesunden Hüftgelenks
 

Eine nach wie vor zentrale Frage der Orthopädie ist die Einschätzung der Belastbarkeit und die Bestimmung von Gelenkbelastung und -beanspruchung des menschlichen Hüftgelenks. " Das menschliche Hüftgelenk stellt eine evolutionäre Notlösung der Natur dar. " ( Legal, H. in Tönnis, D., /114/,S. 26 ) Die Anforderungen an dieses Gelenk sind mit dem anthropologischen Übergang zum aufrechten Gang enorm gestiegen, trägt doch ein Hüftgelenk beim Einbeinstand ( sog. Standbeinperiode des Ganges ) 5/6 des gesamten Körpergewichts ( Gesamtkörpergewicht minus Standbeingewicht ). Biomechanisch stellt das Hüftgelenk mit seiner entwicklungsbedingten Verwringung des Bandapparates und der nach ventral geöffneten Gelenkpfanne kein Optimum dar. Im folgenden soll nur ein Überblick über die wesentlichsten Erkenntnisse der Biomechanik des Hüftgelenks folgen. Eine allumfassende und erschöpfende Deskription würde den Rahmen und das Anliegen dieser Arbeit sprengen. Vielmehr geht es um das Verständnis, warum die Beurteilung der tatsächlichen Hüftgelenksverhältnisse sehr komplex und schwierig ist und oft keine eindeutig abschließenden Aussagen möglich sind.

 

 2.5.1   Ein kurzer historischer Exkurs ( zur Literatur )

 
Im 19. Jahrhundert begann man, das Hüftgelenk biomechanisch zu untersuchen. Auf die Untersuchungen zur Wirkungsweise der Oberschenkelmuskulatur durch A. Fick (1850) folgten anatomische Studien zur Hüftmuskulatur durch R. Fick (1904, 1911). Problemen der Schwerpunktverlagerung in verschiedenen Gang- und Standphasen des Menschen verschrieben sich Braune und Fischer (1889). 1899 legte Fischer sein Werk "Der Gang des Menschen" vor und schuf damit die Grundlage für die Untersuchungen von Pauwels, welcher 1935 eine umfassende Arbeit über die mechanische Belastung und Beanspruchung des Hüftgelenks veröffentlichte. Pauwels Ansatz zur Abschätzung der Hüftgelenksbelastung bildet auch heute noch die Grundlage für Berechnungsverfahren und biomechanische Untersuchungen des Hüftgelenks. Er nutzte für seine Abschätzungen die sog. Standbeinperiode des Ganges
( 16. Gangphase nach Fischer ) und ging davon aus, daß die größten auf das Hüftgelenk wirkenden Kräfte in quasistatischen Phasen ( in infinitesimal kleinen Zeiträumen als statisch auffaßbar ) auftreten. Vor Pauwels hatten bereits Koch (1917) und Storck (1931) erste Abschätzungen der statischen und dynamischen Gelenkbelastung bei Beachtung des Körpergewichts sowie der Richtung und Größe der resultierenden Hüftgelenkskraft erarbeitet. Nach den fundamentalen Arbeiten von Pauwels konzentrierten sich die folgenden wissenschaftlichen Untersuchungen auf die weitere biomechanische Durchdringung von Muskelkraft - Gelenkrelationen und deren mathematische Beschreibung ( Inman 1947, Merchant 1965 ) sowie auf eingehendere Bewegungsstudien ( Williams und Lissner 1962 ), auf die Entwicklung der Alloarthroplastik ( Denham 1959 ) und auf die präoperative Planung und Durchführung von Umstellungsosteotomien ( Osborne und Fahrni 1950 ). Kummer (1968, 1969) und Amtmann u. Kummer (1968) legten schließlich ein Belastungsmodell unter Einbeziehung aller geometrischen Daten des Becken-Bein-Skeletts vor, und Kummer konnte die tragende Fläche des Kugelgelenks und die Verteilung der Spannung anschaulich darstellen. Ein erstes Rechenprogramm für wissenschaftliche Untersuchungen lieferten Hamacher und Roesler (1971, 1972, 1974). Brinckmann et al. (1974) entwickelten ein erstes Computerprogramm zur Berechnung der operativ veränderten Hüftgelenksbelastung. Im weiteren arbeiteten Legal, Ruder u. Reinecke (1977, 1978, 1979, 1980) wie auch Brinckmann et al. (1980, 1981) an einer Erweiterung und Effektivierung der Rechenmodelle. Legal et al. gelang es, die geometrische Gelenkdatenerfassung auf eine 2-dimensionale Beckenübersichtsaufnahme zu reduzieren. Durch die enorme computertechnische Entwicklung in den letzten Jahren sind heute wesentlich breitere Untersuchungsmöglichkeiten gegeben und sie erlauben mit Sicherheit eine bessere und genauere Diagnostik und Therapie ( z.B. Computertomographie, Hüftscreening ).

 

2.5.2   Zur Biomechanik des Hüftgelenks

 
Zunächst bedarf es einer kurzen Begriffserläuterung, die die unterschiedliche Bedeutung von Belastung und Beanspruchung des Hüftgelenks deutlich machen soll. Unter Belastung sind die auf einen Körper einwirkenden äußeren Kräfte zu verstehen. Sie wird am Hüftgelenk durch die sog. Hüftgelenkresultierende R repräsentiert, die als vektorielle Summe aller Kräfte von der Pfanne auf den Hüftgelenkkopf übertragen wird. Beanspruchung beschreibt die durch Belastung hervorgerufenen Verformungen und Spannungen des Materials ( z.B. hyaliner Knorpel, knöchernes Gelenkfundament ). Diese beiden Begriffe machen bereits deutlich, daß eine Einschätzung über tatsächliche Gelenkverhältnisse weitaus schwieriger ist, als nur die numerische Berechnung einer gelenkresultierenden Kraft. Das menschliche Hüftgelenk ist ein räumliches Phänomen, das in seiner Funktionalität entwicklungsbedingt von mehreren Winkelgrößen, wie z.B. dem CCD-Winkel und dem Antetorsionswinkel, von Form und Eigenschaften der Gelenkflächen und bestehenden Muskelkraftrelationen bestimmt wird. Wie schon erwähnt, stellt das menschliche Hüftgelenk kein ideales Kugelgelenk mit nahezu optimalen biomechanischen Vorzügen dar, sondern weicht in Form und Eigenschaft von diesem Idealmodell ab.

 
2.5.2.1   Hüftpfanne und -kopf aus biomechanischer Sicht

 
Die Hüftpfanne stellt eine Hohlhalbkugel dar, die mit ihrem Knorpellimbus den Hüftkopf über seinen Äquator hinaus umfaßt. Die Pfanneneingangsebene ist entwicklungsbedingt nach lateral-kaudal geneigt und nach ventral geöffnet. Der Kopf ist eine Halbkugel, die nach lateral in den Schenkelhals übergeht. Im Idealfall würden geometrischer Pfannen- und Kopfmittelpunkt übereinstimmen und in der Pfanneneingangsebene liegen. Da aber physiologisch zwischen Gelenkpfanne und -kopf ein für die Gelenkfunktion äußerst wichtiger Zwischenraum, der Gelenkspalt, liegt, wird der Kopfmittelpunkt bereits beim gesunden Hüftgelenk aus der Pfanneneingangsebene nach lateral-kaudal verschoben. Für die meisten Betrachtungen kann diese Abweichung jedoch vernachlässigt und für das gesunde Gelenk ein Zusammenfallen von Pfannen- und Kopfmittelpunkt angenommen werden. Unter der anatomischen Gelenkfläche ist die gesamte mit Gelenkknorpel überzogene Fläche der artikulierenden Gelenkkörper zu verstehen. Im Gegensatz zum Kugelgelenk, bei dem der gesamte Gelenkkörper als Gelenkfläche genutzt wird, hat das Hüftgelenk deutlich weniger Gelenkfläche zur Verfügung, nämlich die Facies lunata der Pfanne und die bis zu zwei Drittel überknorpelte Schenkelkopffläche. Die Facies lunata limitiert die Kontaktfläche, also jenen Anteil der anatomischen Gelenkfläche, der mit dem Gelenkknorpel des Kopfes in Kontakt steht, entscheidend. Wirkt eine Gelenkresultierende R zentrisch auf ein Kugelgelenk und liegt der größte Querschnitt des Kopfes innerhalb der Gelenkfläche der Pfanne, so zerlegt sich R in gleichgroße Teilkräfte pi auf den Äquatorquerschnitt ( vgl. Kummer, B., /66/, S. 66-67 ), der sog. tragenden Gelenkfläche. Die Teilkräfte pi werden physikalisch als Spannungen bezeichnet. Betrachtet man die Druckverteilung auf der Kontaktfläche, so hat die Normalkomponente am Zenit ihr Maximum und am Horizont ( Grenze der Kontaktfläche ) ihr Minimum ( gleich Null ). Damit zerlegt sich die Gelenkresultierende in gleichverteilte Normalkraftkomponenten über die Kontaktfläche. Wird nun ein Teil des Kopfäquators nicht durch die Pfanne überdacht, erfolgt damit eine Dezimierung der tragenden Fläche. Die Kräftegleichverteilung geht verloren und es kommt zu einem einseitigen Druckanstieg am Pfannenrand. Es ist möglich, dieses Phänomen geometrisch darzustellen ( vgl. Kummer, B. in Tönnis, D., /114/; Legal, H. et al. in Tönnis, D., /114/ ). Aufgrund seiner anatomischen Eigenschaften ist am menschlichen Hüftgelenk diese Druckverlagerung an den Rand der Gelenkpfanne gegeben. Dies ist röntgenologisch in einer sichtbaren Pfannendachsklerose( Sourcil ) dokumentierbar. Die Form und Ausprägung der Pfannendachsklerose ist ein wichtiges diagnostisches Beurteilungsmerkmal der Gelenksituation. Sie gibt Auskunft über die bestehenden Druckverhältnisse am Pfannenrand. Der CCD-Winkel ist Resultat der Belastung des Schenkelhalses. Er verändert sich während der physiologischen Entwicklung, wie bereits im Abschnitt 2.2.2.2 ausgewiesen. Auch hier ist röntgenologisch die knochenstruktiele Adaptation an die gegebenen Kraftrelationen am Hüftgelenk zu erkennen. Die Trajektoren verdichten sich an den zug- bzw. druckbelasteten Abschnitten des Schenkelhalses und bilden ein sog. Wardsches Dreieck. Auch die Kortikalis reagiert mit Dickenzunahme auf die mechanische Beanspruchung des Schaft-Schenkelhalsabschnitts.

 

2.5.2.2   Gleichgewichtsrelationen, physikalische Momente am Hüftgelenk ( Statik des Hüftgelenks )

 
Der aufrechte Gang des Menschen fordert, daß zwischen den unteren Extremitäten und dem Rumpf eine Gleichgewichtswahrung stattfindet. Ständige Körperschwer-punktverlagerungen und Veränderungen der Unterstützungsfläche sowie der Gewichtskraft und Entstehung von Drehmomenten müssen in der
" Mittlerzentrale " Hüftgelenk durch Muskelkräfte kompensiert werden. Auf dem Fundament des NEWTONschen Axioms actio et reactio stellt sich am Hüftgelenk ein Momentengleichgewicht zwischen partiellem Körpergewicht
( Last ) und dessen Lastarm sowie zwischen der Muskelkraft der Hüftabduktoren ( Kraft ) und deren Kraftarm ein. Für die biomechanische Untersuchung der Belastung und Beanspruchung des Hüftgelenks ist nach den Arbeiten von Pauwels die quasistatische Phase des Einbeinstandes ( Standbeinperiode beim langsamen Gehen - 16. Gangphase nach Fischer 1899 ) von entscheidender Bedeutung, da beim Zweibeinstand nur das partielle Körpergewicht G4
( Körpergesamtgewicht minus Gewicht beider Beine ) als äußere Kraft auf beide Hüftgelenke verteilt, wirkt. Das Becken ruht beim Zweibeinstand auf beiden Schenkelköpfen, der Körperschwerpunkt ( KSP ) befindet sich zentrisch in der Unterstützungsfläche, die beiden Hebelarme ( je 1/2 der Verbindungsstrecke beider Schenkelkopfmittel-
punkte ) sind gleich groß, d.h. zur seitlichen Stabilisierung in der Frontalebene sind keine Muskelkräfte erforderlich und bei aufrechter Körperhaltung weist das Lot aus dem KSP einen vernachlässigbaren Abstand zur Hüftachse
( Verbindungslinie beider Kopfmittelpunkte ) auf und es bedarf keiner zusätzlichen Muskelkraft zur Stabilisierung im Hüftgelenk. Es besteht ein statisches Gleichgewicht. Der Einbeinstand erfordert nun eine andere Betrachtungsweise. Der KSP verlagert sich zur belastungsentgegengesetzten Seite, Last- und Kraftarm verändern sich, Muskelkräfte werden zur Gleichgewichtssicherung notwendig. Die Strecke von Kopfmittelpunkt C des belasteten Hüftgelenks bis zum Schnittpunkt des Lotes aus dem KSP mit der Hüftachse bildet nun den Lastarm hG mit der Last G5 ( partielles Körpergewicht Þ Körpergewicht minus Gewicht des Standbeines ). Das entsprechende Kraftmoment bildet das Produkt aus Abduktorenmuskelkraft M und Kraftarm hM , der den Betrag des Lotes vom Kopfmittelpunkt C auf den imaginären Muskelkraftvektor M hat. Es gilt: Image17 Durch vektorielle Addition von Muskelkraft M und Gewichtskraft G5 erhält man schließlich die Gelenkresultierende R, welche am Hüftkopfmittelpunkt C angreift. Der Betrag von M hängt von der Lage des Trochanter major als Muskelansatz und der Ursprungslage der Hüftabduktoren am Os ilium ab. Entsprechend verändert sich natürlich auch der Kraftarm hM . Diese relativ idealisierte Betrachtung über bestehende Kraftrelationen am Hüftgelenk bilden die Grundlage für Berechnungsmodelle zur mathematischen Modellierung einer vorliegenden Hüftgelenksbelastung. Auf die Erläuterung solcher Rechenmodelle wird hier verzichtet, da es weiterer Ausführungen zur Erfassung notwendiger geometrischer Daten aus einer Beckenübersichtsaufnahme und zur Berechnung wichtiger Gesetzmäßigkeiten
( z.B. Hookesches Gesetz ) bedürfte.

 
 
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Abb. 10 Schwerpunkt S6 des gesamten Körpers
( Kummer, B., /66/, S. 43 )
 
 
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Abb. 11 Wardsches Dreieck bei a Coxa norma, b Coxa vara, c Coxa valga
( Tönnis, D., /114/, S. 31 , aus Pauwels 1965 )
 
 
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Abb. 12 Hüftgelenksresultierende R als vektorielle Summe von
Körperpartialgewicht G5 und Muskelkraft M
( Kummer, B., /66/, S. 47 )
 
 
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Abb. 13 Momentengleichgewicht
( Kummer, B., /66/, S. 45 )

 

 

2.5.2.3   Die Veränderung biomechanischer Parameter bei anatomischen Besonderheiten am Beispiel von Coxa valga et vara

 

Bereits Pauwels gab eine grobe Abschätzung von Richtung und Größe der Gelenkresultierenden R sowie der Muskelkraft M zum Körperpartialgewicht G5 für die Coxa norma, Coxa valga und Coxa vara an. Für normale Hüftgelenksituationen besteht ein Verhältnis von Körperpartialgewicht zu abduzierender Muskelkraft wie 1 : 3 ,
bei einer Coxa valga wie 1 : 6 und bei einer Coxa vara wie 1 : 2 . Mit einer anatomischen Abweichung nimmt die Gelenkbelastung und -beanspruchung zu. Ist die Hüftkopfüberdachung mangelhaft, so kommt es zu einer starken Druckverlagerung an den Pfannenrand, die die Belastbarkeitsgrenzen von Gelenkknorpel und Pfannenmaterial übersteigen kann. Bei einer Coxa valga, also einer Vergrößerung des CCD-Winkels über die physiologische Normalschwankung hinaus ( größer 125° ), wird die tatsächlich belastete Gelenkfläche zum Pfannenrand hin vermindert. Durch eine Verkleinerung des Kraftarms muß eine entsprechend größere Muskelkraft aufgebracht werden. Damit nimmt nach dem Superpositionsgesetz ( Zerlegbarkeit der Kräfte ) naturgemäß die Gelenkresultierende R zu. Der für die Gelenkflächenbelastung wichtige CE-Winkel ( Centrum-Ecken-Winkel ) wird kleiner. Das Resultat einer solchen Gelenksituation zeigt sich in einer pathologischen Pfannendachsklerotisierung
( hohes Soursil zur Pfannenecke ) und kann damit eine präarthrotische Deformität aufweisen. Die Einschätzung, ob tatsächlich eine krankhafte Gelenksituation vorliegt, wird von weiteren wichtigen Faktoren beeinflußt. So müssen unter anderem die räumlichen Verhältnisse ( Pfannenstellung, Antetorsion des proximalen Femurendes ) und die Stütz- und Bindegewebseigenschaften des Patienten Beachtung finden. Eine starke Valgusstellung kann zusätzlich, aufgrund zu großer Scherkräfte am Hüftkopf, zu einer sog. Kopf-im-Nacken-Lage führen. Dies zeigt dann die typische Steilhüftensituation mit steiler, dysplastischer Pfanne, die in der Folge, durch zerstörende Druckreize, den Caput femoris zu der von Putti benannten Dogenhutform deformieren. Die Coxa vara erscheint auf den ersten Blick eine für das Hüftgelenk wesentlich günstigere anatomische Normabweichung zu sein. Die Gelenkresultierende R ist durch die schwächeren abduzierenden Muskelkräfte deutlich kleiner. Deshalb ist bei geringer Varusstellung des Schenkelhalses keine operative Korrektur nötig. Bei zu großer Verkleinerung des CCD-Winkels und evtl. zusätzlicher mangelnder Überdachung durch die Pfanne wirken die Gelenkkräfte auf den Hüftkopf stark abscherend und ein Abrutschen des Caput ist vorauszusehen.
 

 
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Abb. 14 Grobe Abschätzung von Richtung und Größe der Gesamtresultierenden R nach Pauwels bei
a Coxa norma, b Coxa valga, c Coxa vara
( Tönnis, D., /114/, S. 39 )

 

2.5.3   Schlußbetrachtungen

 

Wie bereits erwähnt, ist das menschliche Hüftgelenk ein evolutionärer Kompromiß der Natur und damit keine biomechanische Optimallösung. Anatomische Abweichungen in allen drei Dimensionen ( z.B. Coxa valga et vara, Coxa torta mit ihren Variationen und Kombinationen ) verändern die Kräfterelationen am und im Hüftgelenk. Zusätzlich können muskuläre Dysbalancen, ein insuffizienter Kapsel-Band-Apparat sowie Gelenkknorpelstoffwechsel und andere Faktoren die Belastbarkeit des Hüftgelenks herabsetzen. Biomechanische Berechnungsmodelle können zur Einschätzung der Gelenksituation und zur Planung operativer Korrekturen
( Muskelansatzveränderungen, Becken- bzw. Schenkelhals-osteotomien, Pfannenplastik und Prothetik usw. ) sehr hilfreich sein. Die Bestimmung geometrischer Gelenkdaten und errechnete Gelenkkräfte sind allerdings für die Diagnostik und Belastbarkeitseinschätzung allein nicht ausreichend. Der menschliche hyaline Gelenkknorpel weist eine beachtliche Belastbarkeitstoleranz auf, welche Groh (1962) in einem Kraft-Frequenz-Diagramm des Hüftgelenks aufzeigte. Nach Aussage dieses Diagramms ( wie bereits Pauwels berechnete ) ist erst bei einer Gelenkbelastung von 220 kp/cm² mit einer Entstehung einer Coxarthrose zu rechnen. Selbst bei leistungssportlichen Laufbelastungen wird, gesunde anatomische Bedingungen des Athleten vorausgesetzt, diese Toleranzgrenze bei weitem nicht erreicht ( 10000 m - Läufer: 50 kp/cm² ) ( vgl. Reichelt, A., /89/, S. 274 ). Die Zuhilfenahme grundlegender biomechanischer Gesetzmäßigkeiten läßt zumindest eine grobe tendenzielle Einschätzung der Belastbarkeit des Hüftgelenks zu und ist für das Verständnis der umfassenden Hüftgelenksdiagnostik unumgänglich.