6 | Heuristik zur Implementierung von veränderten Prozessen |
Für das vorliegende Kapitel wurde die Form einer Heuristik gewählt, um weitere Erfahrungen, die über die Validierung der Thesen hinausgehen, aus dem betrieblichen Fallbeispiel zu schildern. Prinzipiell sind Implementierungsstrategien für jedes Projekt neu festzulegen. Alioth formuliert dies im Zusammenhang mit der Einführung neuer Arbeitsformen:
Es sollen an dieser Stelle also Anregungen und Erfahrungen dargestellt werden, die zur Entwicklung einer Implementierungsstrategie beitragen können. Obwohl in Anspruch genommen wird, daß die Erfahrungen eine gewisse Allgemeingültigkeit haben, handelt es sich nicht um "Patentrezepte", sondern vielmehr um Vorgehensweisen, welche die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs erhöhen. Von Sadler wird dieses Charakteristikum des Untersuchungsgegenstandes anschaulich formuliert:"Die Entwicklung einer Implementationsstrategie ist ein heuristischer Prozeß der in jedem Fall neu durchlaufen werden muß. Es gibt bestenfalls für einzelne Phasen der Implementation Algorithmen, die rezeptartig angewendet werden können. Der heuristische Prozeß wird durch laufende Evaluation bzw. Korrekturen der Strategie geregelt. Ausgangspunkt für die Strategieentwicklung ist der Ist-Zustand und die Formulierung eines Zielbereichs. [...] Die Grenzen sind fließend und können durch die Strategie selbst verschoben werden." (Alioth, Arbeitsformen, 1980, S.156f)
Die Darstellungen wurden so abgefaßt, daß die Erfahrungen auch außerhalb des FuE-Bereichs angewendet werden können. Es ist dabei an Bereiche im Vertrieb, innerhalb der Produktionsunterstützung oder in der öffentlichen Verwaltung gedacht. Zur anschaulichen Darstellung der Erfahrungen wurden Beispiele und Folgerungen für zukünftige Implementierungsprojekte in die Abschnitte integriert. Am Ende des Kapitels sind Möglichkeiten zur Optimierung von Implementierungsvorhaben beschrieben."There is no recipe, however, or set of rules for the design of effective organizations any more than there is a set of rules for writing symphonies." (Sadler, Change, 1996, S. 29)
6.1 Rollen der Implementierung
Im Verlauf der Implementierung wird eine große Anzahl an Mitarbeitern in die Prozeßveränderung eingebunden. Im Fallbeispiel waren es etwa 450 Mitarbeiter (davon etwa 285 direkt Betroffene). Diesen Mitarbeitern kommen unterschiedliche Rollen während der Implementierung zu. Abbildung 43 zeigt die Verteilung der Rollen, die im Nachfolgenden erläutert werden. Die Beschreibung der Rollen stellt ein Ideal dar. In realen Prozeßveränderungen mischen sich die Rollen, d.h. auf einen Mitarbeiter fallen mehrere Rollen (beispielsweise Projektleiter und betroffener Mitarbeiter).
Abbildung 43 | Rollenanteil der Mitarbeiter während der Implementierung |
Im Mittelpunkt der Rollenbeschreibung steht das u.a. von Baitsch beschriebene Konzept der Change Agents (vgl. Ottaway, agents, 1979 zitiert nach Baitsch, Agenten, 1986). Ausgangspunkt der Notwendigkeit von Change Agents ist die Tatsache, daß sich Veränderungen nicht von alleine durchsetzen:
Die allgemeine Definition von Baitsch soll den Ausgangspunkt der beschriebenen Tätigkeit des Change Agents bilden:
Im Idealfall begleitet der Change Agent 56 das Veränderungsprojekt vom Beginn bis zur vollständigen Umsetzung und ist direkt von der Prozeßveränderung betroffen bzw. hat die Möglichkeit zu einer Kontrollerhöhung durch den veränderten Prozeß. In den veränderten Prozeß sollte der Change Agent durch seine bisherige Tätigkeit eingebunden sein. Idealerweise sind dies Mitarbeiter der dritten oder vierten Führungsebene. 57 Der Change Agent muß während der Prozeßanalyse die Möglichkeit besitzen, ein differenziertes reflektiertes OAS zu bilden. Dieses OAS muß - für Tätigkeiten der geistigen Arbeit - das Referenz- und das Faktische-Handlungsfeld der zu verändernden Tätigkeit abbilden. Auf dieser Basis kann dann die Veränderung der Tätigkeit mit Hilfe analytischer Mittel erfolgen. Um die Veränderung bis zur kompletten Umsetzung begleiten zu können, benötigt der Change Agent eine hohe Standfestigkeit, hohe soziale Kompetenz bei der Überzeugung seines Umfelds und Vorgesetzte, die den Change Agent in kritischen Situationen stützen (vgl. Wagner, Personal, 1994, S. 10;Wiswede, Chef, 1995, S. 33 f; Richter, Führung, 1996, S. 37). In den einzelnen Phasen kommt dem Change Agent folgende Rolle zu."Change Agents sind Personen oder Gruppierungen, die sich in irgendeiner Form darum bemühen, daß es innerhalb eines Systems zu einem Wandel kommt. Innerhalb solcher Veränderungsprozesse sind unterschiedliche Typen von Change Agents mit je spezifischen Funktionen notwendig." (Baitsch, Agenten, 1986, S. 60)
6.1.2 FuE-Projektleitung
Der FuE-Projektleitung kommt eine besondere Rolle bei der Implementierung zu, die vom Change Agent genutzt werden muß, um die Veränderung durchsetzen zu können. Prozeßveränderungen führen häufig zu Kontrollerhöhungen bei Projektleitern. Sie sind also häufig "Nutznießer" geänderter Prozesse. Dieser Umstand kann dahingehend vom Change Agent ausgenutzt werden, indem den Projektleitern Implementierungsaufgaben der Linienleitung übertragen werden. Diese Vorgehensweise erlaubt eine Integration der Projektleitung in die Prozeßverbesserung und gleichzeitig eine Bearbeitung von Aufgaben, die im Zusammenhang mit der Implementierung anfallen. In IOEs ohne Projektleiter entfällt diese Sonderrolle, die Aufgaben gehen auf den Linienvorgesetzten über (vgl. Fischer, Führungstätigkeit, 1993).
Beispiel |
Die Zusammenstellung von Namenslisten der betroffenen Mitarbeiter für Informations- oder Trainingsveranstaltungen kann beispielsweise durch Projektleiter erfolgen, da diese in ihrem speziellen Projektbereich, die derzeitige Mitarbeiterfunktion am besten kennen.
Die Aufgaben der Linienvorgesetzten finden vornehmlich in der letzten Phase - der weiteren Umsetzung statt. In Einzelfällen kann dies natürlich auch innerhalb des Pilotprojekts stattfinden. Eine der wichtigsten Aufgaben der Führungskräfte ist die offizielle und für jeden Mitarbeiter in der IOE erkennbare Akzeptanz und Unterstützung des veränderten Prozesses. Ein offizielles "hinter der Sache stehen" und "vorleben" hat vermutlich den größten Einfluß auf die betroffenen Mitarbeiter (vgl. Doppler/Lauterburg, Unternehmenswandel, 1995; Müri et al., Verhaltensänderung, 1995, S. 61). Dies kann beispielsweise durch die Anwesenheit bei den Dissonanz-Workshops oder bei Trainingseinheiten erfolgen. Unbedingt notwendig ist die Anwesenheit bei den internen Kick-Off-Veranstaltungen, die den Startschuß für die betroffene IOE bedeuten.
6.2 Steuerung der Implementierung
Die Umsetzung veränderter Prozesse stellt hohe Anforderungen an das verwendete Projektmanagementsystem. Die Verfolgung des Projektfortschritts und die entsprechende Steuerung der Implementierung benötigt Werkzeuge für ein effizientes Projektcontrolling. Neben den im Projektmanagement üblicherweise verwendeten Balkenterminplänen wurden noch drei weitere Werkzeuge entwickelt, 58 die eine Verfolgung und Steuerung der Implementierung auf Basis der Hypothesen aus Kapitel 3 gewährleisten. Durch den Einsatz der unten dargestellten Werkzeuge lassen sich die Effizienz und die Effektivität der Umsetzung erheblich steigern.
6.2.1 Implementierungsportfolio
Das Implementierungsportfolio zeigt den Fortschritt
der Umsetzung des Veränderungsprojekts in zwei Dimensionen. In X-Richtung
wird der Anteil der aktuell direkt erreichten Mitarbeiter je IOE
aufgetragen, in Y-Richtung der Anteil der Soll-Punkte. Je IOE
werden Datenpunkte unterschiedlicher Fläche verwendet, wobei die Fläche
proportional zur Anzahl der betroffenen Mitarbeiter ist (vgl. auch Berger/Schwenker,
Transformationsprozeß, 1996, S. 1049).
Die in Abschnitt 2.3
beschriebenen kognitiven Schritte nach McGuire wurden in Abbildung
44 in das Portfolio integriert. Diese Darstellung erlaubt eine Zuordnung
der Schritte zu bestimmten Punkten im Portfolio, an denen sich die Implementierung
orientiert.
Abbildung 44 | Implementierungsportfolio mit den fünf Schritten nach McGuire im chronologischen Längsschritt [McGuire, Attitudes, 1969, S. 136ff] |
Werden sämtliche IOEs in einem Portfolio eingetragen, kann der aktuelle Umsetzungsstand transparent dargestellt werden. Neben der transparenten Darstellung des aktuellen Implementierungsstands ist auch eine Betrachtung des chronologischen Verlaufs mit einem vorgegebenen Soll-Verlauf für eine IOE möglich. In wurde dies durch die Linie dargestellt.
Beispiel |
Abbildung 45 zeigt das Portfolio für das Fallbeispiel. Anhand der Fälle A, B und C lassen sich mehrere Konstellationen während der Implementierung feststellen.
Abbildung 45 | Implementierungsportfolio für das Fallbeispiel |
Neben den möglichen Abweichungen wurden auch die Fälle mit und ohne SI dargestellt. Als typisch für das Pilotprojekt zeigt sich, daß nicht alle Mitarbeiter direkt erreicht wurden. 59 Wie erwartet erreichten die Bereiche mit SI die Zielgebiete für die Implementierung gut.
Abweichungen sind in erster Linie beim Anteil der erreichten Mitarbeiter festzustellen. Dies zeigte sich als ein Hauptproblem bei der Umsetzung von Prozeßveränderungen in FuE-Organisationen: die direkte Erreichbarkeit der Mitarbeiter gestaltet sich schwierig. 60 Veränderungsprozesse laufen im Normalfall parallel zur normalen Tagesarbeit, Prioritäten werden deshalb anhand der Tagesarbeit und persönlichen Neigungen gesetzt.
Als zweite Steuerungsgröße werden die aufgetretenen Beanstandungen und Hinweise dokumentiert und typisiert. Sämtliche Punkte müssen mit Verantwortlichen und Erledigungsdatum für eine Verfolgung versehen werden. Durch diese Dokumentation kann eine Erfahrungsdatenbank für aufgetretene Fehler aufgebaut sowie eine Verfolgung der Umsetzungsschwierigkeiten einzelner Maßnahmen erreicht werden. Auf der Basis dieser Daten kann im Verlauf der Implementierung schneller auf Fehler reagiert werden, teilweise können Fehler auch bei der Integration weiterer IOEs vermieden werden. Neben aufgetretenen Fehlern sollte auch eine Dokumentation von Ideen zur Weiterentwicklung des Prozesses erfolgen (vgl. Al-Ani, Ergänzung, 1996). Für spätere Änderungen aufgrund neuer Umweltbedingungen61 steht somit eine fundierte Wissensbasis bereit.
Beispiel |
Die aus Abbildung 46 ersichtliche Menge an aufgetretenen Fehlern zeigt die Wichtigkeit eines Verfolgungsinstruments für die auftretenden Schwierigkeiten.
Abbildung 46 | Anzahl der aufgetretenen Beanstandungen und Hinweise während der Implementierung im Fallbeispiel |
Insgesamt wurden etwa 245 Beanstandungen und Hinweise erfaßt. Die Anzahl der nicht erfaßten Beanstandungen liegt
schätzungsweise bei weiteren 50 Fällen.
Der nachfolgend in Tabelle 19 dargestellte Fall aus dem betrieblichen Fallbeispiel soll die Fehlerverfolgung
illustrieren.
Fehlerbeschreibung: Daten einiger Bedarfsmeldung werden nicht am Bildschirm angezeigt. |
||
Fehlerklassifikation: Softwarefehler |
Erfassungsdatum: 02.03.1998 und 19.03.1998 |
Erkenner: H. Xxx (BTT) |
Ursache: Wird die Auftragsnummer in SAP geschlossen und das Teilschließkennzeichen gesetzt, so führt die bei der Anzeige der Bedarfsmeldung durchgeführte Prüfung der Auftragsnummerngültigkeit zu einem Abbruch des Einlesens der Daten. |
||
Lösung: Prüfung der Auftragsnummerngültigkeit nur bei Neuanlage oder Änderung der Bedarfsmeldung, nicht bei bereits fertig bearbeiteten Bestellungen. |
||
Lösungsklassifikation: Software geändert |
Verantwortlich: F. Xxx (EDV-Abteilung) |
Erledigt am: 12.05.1998 |
Tabelle 19 | Formular zur Dokumentation aufgetretener Fehler |
Eine Analyse der Lösungsklassifikation ergab das in Abbildung 47 dargestellte Bild. Deutlich zu erkennen ist, daß der Großteil der Lösungen auf Modifikationen der Software oder der Eingabe fehlender Daten beruhte. Der große Anteil an Dateneingaben ist u.a. auf die eingeführten Negativ-kritischen-Konsequenzen bei der Gestaltung des Tätigkeitsspielraums zurückzuführen. Der dadurch bedingte Abbruch der Handlungen führte oftmals zu Rückfragen oder Hinweisen, die in der Datenbank erfaßt wurden.
Abbildung 47 | Klassifikation der Lösung der aufgetretenen Beanstandungen und Hinweise |
Zu aufwendigeren Umgestaltungsmaßnahmen kam es nur in etwa sieben Prozent aller Fälle (Systematik geändert).
Folgerung |
6. 2.3 Längsschnitt der Informationspunkte
Eine weitere Steuerungsgröße für die Umsetzung veränderter Prozesse ist die Anzahl der erreichten Implementierungspunkte je Zeiteinheit. An dieser Größe kann sehr deutlich die Aktivität der Change Agents sowie die Effizienz der Organisation zur Implementierung dargestellt werden. Niedrige Werte deuten auf knappe Ressourcen, Verzögerungen durch fehlende Entscheidungen oder unzureichende, verfügbare Zeit bei den Change Agents hin.
Beispiel |
Abbildung 48 zeigt an Daten aus dem Fallbeispiel den Verlauf der Punkte je Monat und die dazugehörigen Phasen des Projekts.
Abbildung 48 | Anzahl der Informationspunkte je Monat und dazugehörige Phasen der Implementierung |
Die niedrigen Werte der Punkte im Verlauf der Implementierung lassen auf ein Verbesserungspotential für eine Verkürzung der Implementierungsdauer schließen. 62 Der erhöhte Aufwand zu Beginn des Pilotprojekts und die erhöhten Aufwendungen während der weiteren Umsetzung ab dem 20. Monat, mit einem Mittelwert von etwa 190 Punkten, sind deutlich zu sehen.
Folgerung |
Die Betrachtung der Implementierungskosten spielt eine nicht zu vernachlässigende Größe in Veränderungsprojekten. Neben den Kosten für die reine Realisierung der Maßnahmen (Softwareentwicklung, Maschinenbeschaffung etc.) fallen noch zusätzlich die Aufwendungen für die Implementierung an, um stabile Prozesse zu erreichen (vgl. Reiß, Implementierungsarbeit, 1995, S. 278). Die in Tabelle 20 dargestellten Kosten sollen lediglich Anhaltswerte darstellen, um die Kosten in ähnlichen Implementierungsprojekten abschätzen zu können.
Beispiel |
Anhand der dokumentierten Daten kann eine Abschätzung der Implementierungskosten erfolgen. Die entstandenen Kosten verteilen sich etwa folgendermaßen und beziehen sich auf eine Projektlaufzeit von etwa 24 Monaten.
Ressource | Menge | Kosten | Summe |
Arbeitszeit Change Agents | 2.000 h | 100 DM | 200.000 DM |
Arbeitszeit betroffene Mitarbeiter | 1.800 h | 100 DM | 180.000 DM |
Opportunitätskosten 63 | 1.800 h | 100 DM | 180.000 DM |
Arbeitszeit Userverwaltung | 125 h | 100 DM | 12.500 DM |
Raumkosten für Workshops (Hotels, Bewirtung etc.) | 8 | 800 DM | 6.400 DM |
Medieneinsatz (Handbücher, Flyer etc.) | 500 | 15 DM | 7.500 DM |
586.400 DM |
Tabelle 20 | Kostenschätzung |
Als Faustformel lassen sich je Informationspunkt Kosten von etwa 200 DM ableiten. Nicht betrachtet wurden die Kosten für die Erstellung der Software. Den Einmal-Aufwendungen für die Implementierung stehen Einsparungen von etwa 800.000 DM 64 pro Jahr gegenüber.
Die notwendige Information der betroffenen Bereiche sollte über einen breit gefächerten Einsatz unterschiedlicher Medien erfolgen. Dies verbessert die Aufmerksamkeit und die Erreichbarkeit für die angebotene Information innerhalb des Unternehmens.
Beispiel |
Im Fallbeispiel wurden etwa 250 Flyer (Handzettel mit wichtigen Informationen zum BTT) gedruckt und nach dem offiziellen Start des jeweiligen BTTs an die IOEs verteilt. Durch einen Artikel in der Betriebszeitung (Auflage etwa 7.500) konnte eine große Zahl an Mitarbeitern erreicht werden. Als weiteres Medium dienten die etwa 250 verteilten Handbücher. Zur Erfüllung der Forderungen nach DIN EN ISO 9001ff wurden zwei Verfahrensanweisungen für die einzelnen Prozeßabschnitte erstellt. Das klassische Informationsmittel der Hausmitteilung wurde dagegen nur zweimal eingesetzt.
Bei der Einführung veränderter Prozesse ist prinzipiell mit Widerstand aus den betroffenen Bereichen zu rechnen (vgl. Ziesche, Widerstand, 1993; Mühlbauer, Revolution, 1996, S. 11). Dieser Widerstand äußert sich etwa durch Einwände und Vorwände gegenüber dem neuen Prozeß oder durch passiven Widerstand (in Form der Ablehnung bzw. Nicht-Ausführung einer Tätigkeit). Alioth beschreibt Widerstand folgendermaßen:
Auch im Fallbeispiel waren diese Formen des Widerstands vorhanden. Gründe für Widerstand im Fallbeispiel waren etwa der drohende Kontrollverlust durch den Entfall der Unterschriften, aber auch in zu geringer Information über die bevorstehende Änderung."Das bestehende Gleichgewicht kann von den Mitgliedern eines sozialen Systems vorerst beharrlich verteidigt werden und tritt dann als Widerstand gegen Veränderungen in Erscheinung." (Alioth, Arbeitsformen, 1980, S. 137)
Um die Widerstände überwinden zu können, wurden im Fallbeispiel vier Strategien angewendet, die hier kurz beschrieben werden.
Strategie 1: Isolierung
Durch die Planung der Implementierung in versetzten
Etappen besteht die Möglichkeit besonders große und einflußreiche
Gruppen zu isolieren und erst zu einem späten Zeitpunkt in die Implementierung
zu integrieren. Durch diese Strategie kann solange Zeit gewonnen werden,
bis der Prozeß in anderen Bereichen stabil läuft. Im Idealfall
gelingt es, daß sich nur noch eine einzelne Gruppe gegen die Veränderung
wehrt. Ist dieser Zustand erreicht, kann durch einen Vergleich mit anderen
IOEs häufig der Widerstand
gebrochen werden.
Beispiel |
Im Fallbeispiel wurden Aussagen gegen die bevorstehende Prozeßveränderung aus einer Abteilung mit etwa 45 betroffenen Mitarbeiter vernommen. Die Aussagen kamen aus dem Bereich der Teilprojektleitung, Hauptkritikpunkt war der Entfall der Unterschriften (Kontrollverlust für den Teilprojektleiter).
Durch die Isolierung gelang es, diese Gruppe etwa 22 Monate (von der ersten Information bis zur aktiven Integration in die Implementierung) aus der Implementierung herauszuhalten. Dadurch wurden die Argumente: "Das funktioniert nur im Pilotprojekt", "Das ist ein Einzelfall" oder "Bei uns ist alles anders" immer schwächer. Die Isolierung ist auch deutlich im Portfolio zu erkennen und in den weiteren Belegen der Implementierung aus Kapitel 5.
Strategie 2: Fakten
Widerstand (bzw. auch nur Desinteresse) äußert
sich häufig in einem Verschleppen von Entscheidungen, die für
die Implementierung wichtig sind. Häufiges Mahnen führt oftmals
zu langen Diskussionen. Als adäquate Vorgehensweise hat sich dabei
die Fakten-Strategie erwiesen. Auch ohne Abstimmung mit den betroffenen
Bereichen wurden die notwendigen Maßnahmen durch die Change Agents
eingeleitet oder durchgeführt - es wurden Fakten geschaffen.
Beispiel |
Als besonders problematisch stellte sich im Verlaufe des Projekts die Büroraumsituation heraus. Die Zusammenstellung der geforderten Schreibtischgruppe für drei Mitarbeiter verzögerte sich durch schleppende Entscheidungen der Vorgesetzten etliche Male. In zwei Fällen wurde deshalb das Abräumen und Zusammenstellen der Schreibtische durch die Change Agents mit Hilfe der betroffenen Mitarbeiter selbst durchgeführt. Die Reaktion auf dieses Vorgehen war durchaus positiv, da dadurch die für alle sichtbare Verzögerung aufgehoben werden konnte.
Strategie 3: Konfrontation
Als dritte Strategie gegen offenen und verdeckten Widerstand wurde die Konfrontation der Change Agents mit dem Widerstandsbereich
gewählt. In Sitzungen mit den Vorgesetzten der 2. Ebene wurden die Prozeßveränderung und die gegenseitigen Positionen dargestellt.
Die Sitzungen war so besetzt, daß die gleiche Anzahl an gleichrangigen Gegner wie Befürwortern anwesend war. Ziel dieser Konfrontation war
es, eine gemeinsame Informationsbasis herzustellen und die 2. Führungsebene in die Umsetzungsverantwortung einzubinden, aber auch die Probleme der
Widerstandsbereiche ernst zu nehmen und Vorschläge für Kompromisse anzudeuten.
Beispiel |
Der Widerstandsbereich konnte nach der Isolierung durch die Konfrontation in die Implementierung integriert werden. Nach der Konfrontationssitzung mit dem betroffenen Hauptabteilungsleiter und den Linienvorgesetzten war es möglich, mit den Teilprojektleitern das weitere Vorgehen zu erarbeiten. Innerhalb von zwei weiteren Sitzungen konnten die differierenden Ansichten, vornehmlich durch verbesserte Information für den betroffenen Bereich, angeglichen werden. Kurze Zeit später erfolgte der Dissonanz-Workshop und das BTT konnte gegründet werden.
Strategie 4: Adaption
Als letzte Hauptstrategie zur Überwindung des
Widerstands wurde die auch schon als Hypothese beschriebene Organsationsadaption
eingesetzt. Während der ersten Gespräche wurde jeweils auf die
Anpassung des Prozesses an die betroffene Organisationseinheit hingewiesen.
Innerhalb des Dissonanzworkshops wurden Vorschläge für organisationsspezifische
Regelungen erarbeitet. Durch diese Vorgehensweise war es möglich,
Ängste über Kontrollverluste durch die bevorstehende Prozeßveränderung
dahingehend zu mildern, daß jeweils die organisationstypischen Eigenheiten
berücksichtigt wurden. Durch diese Vorgehensweise war eine Motivation
für den "eigenen" Prozeß zu erkennen.
Beispiel |
Aus dem unterschiedlichen Rollenverständnis zwischen den Linienbereichen resultierten Widerstände gegen das eingesetzte Rechnersystem zur Eingabe der Budgets. Um diesen Widerstand zu überbrücken, wurden je nach Abteilung unterschiedliche Personen für die Eingabe der Budgets definiert. So wurden beispielsweise Teamleiter, Teilprojektleiter oder ein spezieller Mitarbeiter der Abteilung für die Budgeteingabe berechtigt. Durch diese Adaption konnte auf das Erlernen eines neuen Rollenverständnisses verzeichtet werden und die Umsetzung der dezentralen Budgetdatenverwaltung beschleunigt werden.
Die Wirkung der Strategien "Isolation" und "Konfrontation" sind im Implementierungsportfolio gut zu erkennen. Abbildung 49 zeigt dies am Beispiel des Widerstandbereichs aus dem Fallbeispiel. Zwischen Mai 1996 und Februar 1998 ist nur eine geringe Zunahme der Informationspunkte zu erkennen. Es wurde nur ungefähr ein Fünftel der Mitarbeiter erreicht. Die Konfrontation fand im März 1998 statt. Durch weitere Informationsveranstaltungen wurde der Durchführung des Dissonanz-Workshops im Mai 1998 zugestimmt.
Abbildung 49 | Verlauf der Implementierung des Widerstandsbereichs |
Der Aufwand für die Überzeugungsarbeit der Vorgesetzten ist deutlich an der Abweichung in Y-Richtung zwischen Februar und April 1998 zu erkennen. Nach der Durchführung des Dissonanz-Workshops wurde der geplante Implementierungsverlauf wieder erreicht.
6.4 Optimierung der Implementierung
Das beschriebene Fallbeispiel zeigt einige Potentiale zur Verbesserung der Implementierung bei Anwendung der beschriebenen Methode. Aus der Analyse des Fallbeispiels werden weitere Verbesserungen für zukünftige Umsetzungsprojekte dargestellt. Die Formulierung der Vorschläge wurde auch hier so gewählt, daß die Verbesserungen sich nicht nur auf das FuE-Umfeld beziehen.
Die wohl wichtigste Größe in einem Umsetzungsprojekt ist die Zeitdauer (vgl. Jaspert/Müffelmann,
Umsetzung, 1996, S. 176; Zeyer,
Zeitaspekte, 1995, S. 284ff). Rasch wachsende Anforderungen der Märkte
oder Veränderungen im gesetzlichen Umfeld erfordern oftmals ein schnelles
Reagieren. Deshalb wurde die benötigte Zeitdauer des Fallbeispiels
analysiert und Möglichkeiten zur Verbesserung in zwei Szenarien aufgezeigt.
Anhand der erreichten Informationspunkte je Monat läßt sich die Implementierung transparent darstellen. Eine Analyse
der Daten ermöglicht eine präzise Suche nach Schwachstellen.
Abbildung 50 zeigt den Verlauf der Punkte und die
Analyse niedriger Monatswerte.
Abbildung 50 | Analyse der erreichten Informationspunkte je Monat |
Als Ursachen für niedrige Monatswerte ergeben sich:
Abbildung 51 | Szenario 1: höhere Monatsmittelwerte der Infopunkte |
Durch eine Intensivierung der Definitions- und Detaillierungsphase (Konzeptphase) und einer Überlappung von Pilotprojekt und weiterer Umsetzung kann die Dauer um weitere drei Monate gekürzt werden (in Abbildung 52 dargestellt). Bei optimalen Voraussetzungen wäre somit eine Gesamtreduzierung um ungefähr 13 Monate (46 Prozent der Gesamtdauer) möglich. Die notwendigen Voraussetzungen sind im nächsten Abschnitt beschrieben. Das bisherige, als ungünstig angenommene, Verhältnis zwischen Definitionsphase und den weiteren Phasen von etwa 1:8,3 könnte so auf ein Verhältnis von etwa 1:1,5 (Konzeptphase - (Pilotprojekt + weitere Umsetzung)) verbessert werden.
Abbildung 52 | Szenario 2: Intensivierung und Überlappung |
Folgerungen |
Um die optimierte Umsetzungszeit zu erreichen, werden hier konkrete Vorschläge umrissen, die zukünftige Implementierungsprojekte (ab einer Größenordnung von mehr als 150 betroffenen Mitarbeitern) effektiv unterstützen könnten.
Prozeßveränderung sind im FuE-Umfeld ohne Softwareeinsatz fast nicht mehr vorstellbar (vgl. Müller, Entwicklung, 1997, S. 637). Aber auch in anderen Bereichen der Industrie und öffentlichen Verwaltung sind Prozeßveränderungen oftmals an den Einsatz neuer oder geänderter Software gebunden. Die Entwicklung und Adaption neuer Softwarekomponenten kann unterschätzt werden. Prinzipiell gilt, daß die Software den aktuellen Anforderungen an Softwareergonomie, Flexibilität und Kompatibilität genügen muß. Vor dem Einsatz im gesamten geplanten Bereich bietet sich ein Test innerhalb eines Pilotprojekts an (vgl. Krüger/Bauermann, Organisationsprojekte, 1987, S 798). Eine detaillierte Dokumentation ist unerläßlich, um spätere Instabilitäten zu vermeiden.
Beispiel |
Der im Fallbeispiel gewählte Ansatz, das vorhandene
EDV-System zur Einkaufs- und Bestellverwaltung um die Anforderungen des
neuen Prozesses zu erweitern, stellte sich während der Umsetzung als
fragwürdig heraus. Die notwendigen Kompromisse führten zu Datenredundanzen,
Inkompatibilitäten und einem hohen Betreuungsaufwand für die
Userverwaltung und -einrichtung.
Der Einsatz einer zeichengestützten Oberfläche
für ein breites Spektrum an Mitarbeitern erhöht den Einführungsaufwand
erheblich. Die Anforderungen an Softwareergonomie, Rückmeldung, Datensicherheit
oder Flexibilität werden nur in geringem Maße erfüllt.
Die Akzeptanz des Rechnersystems ist bei den Mitarbeitern relativ gering.
Grafische Benutzeroberflächen können durch ihre etablierten Standards
diese Lernphase beschleunigen und die Akzeptanz erhöhen. Die Anzahl
der aufgetretenen Fehler wurde in Abbildung 46 beispielhaft
illustriert und zeigt die Anfälligkeit solcher Systeme.
Folgerung |
Die Darstellungen der Heuristik können als Planungsgrundlage
für zukünftige Implementierungsprojekte herangezogen werden.
Mit den geschilderten Hilfsmitteln zum Projektmanagement (Implementierungsportfolio,
Fehlerverfolgung und Informationspunktelängsschnitt) ist ein effektives
Projektmanagement möglich.
Widerstände können mit Hilfe der beschriebenen
Strategien überwunden werden. Die Strategien zeigen effiziente Möglichkeiten
im Umgang mit Bereichen, die einer geplanten Veränderung negativ gegenüberstehen.
Die Anregungen für eine unternehmensweite Optimierung
von Veränderungsprozessen zeigten letztendlich, anhand der Schwierigkeiten
des Fallbeispiels, wie Prozesse der Veränderung weiterentwickelt werden
können.