Visionär, Reformer, Menschenfreund

Vom Sattlersohn zum adligen Professor

(Fortsetzung 1. Teil im Heft 1/97 erschienen) BILD

Dampfkesselexplosion in der Brauerei Schwetzingen in der Nacht zum 1. September 1902, über die Bach ein Unfallgutachten erstellte. Solche Explosionen waren damals nicht selten. Die Untersuchungen von Bach halfen mit, die Materialien zu verbessern und solche Unfälle zu verhüten.

(HJG) Nach der Prüfung fuhr Bach erst einmal nach Wien, wo damals gerade eine Weltausstellung stattfand, danach trat er die schon erwähnte Englandreise an. 1874 mußte er seinen Militärdienst antreten, der Krieg von 1870/71 wurde nicht auf diese Zeit angerechnet. Anschließend nahm er zunächst eine Stelle als Oberingenieur in Wien und einige Jahre später als Fabrikdirektor in Bautzen an, wo er 1877 auch heiratete. Während dieser Zeit erhielt er seine ersten Patente auf Dampffeuerspritzen. Die freilich ließen sich schlecht verkaufen. Dafür bekam er von den Feuerwehrleuten unter der Hand eine Begründung, die in ähnlichen Fällen auch heute noch gültig sein könnte: "Ohne Dampfspritze kann man es immer aufs Feuer abschieben, wenn wir mit ihm nicht fertig werden. Mit Ihrer Dampfspritze wären wir selber schuld."

Im Frühjahr 1878 erhielt Bach einen Ruf als Professor an das Polytechnikum Stuttgart, wo er bis zum Eintritt in den Ruhestand 1922 tätig war. Für anfangs 7.200 Mark im Jahr mußte er dort 16 bis 18 Wochenstunden Unterricht geben. Als erstes krempelte er den nicht mehr zeitgemäßen Laden gründlich um. Denn der technische Fortschritt, so Bach, kam damals allein aus der Praxis selbst und aus der Industrie; die

Als Professor in Stuttgart

Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen seien daran kaum beteiligt. Zudem hatten sich diese Fortschritte im Maschinenbau eher zufällig ergeben, systematische Versuche waren so gut wie unbekannt. Bewährte sich eine Maschine in der Praxis, nahm man halt deren Maße zum Vorbild. Flog aber etwa ein Dampfkessel auseinander, wurde beim nächsten Mal einfach eine höhere Wandstärke gewählt. Und damals flogen Dampfkessel oder andere Maschinen häufig in die Luft, Eisenbrücken krachten zusammen - mit oft verheerenden Folgen für die Arbeiter und deren Angehörige, denn eine Sozialversicherung gab es noch nicht. Schon 1863/64 hatte Bach bei der Firma Hartmann mehrere tödliche Unfälle miterlebt. So war einmal vor seinen Augen ein Schleifstein zerborsten und hatte einen Arbeiter getötet, "dem das Blut aus dem Mund herausquoll".

Erstes Ergebnis der Bachschen Bemühungen war 1881 das Buch "Die Maschinenelemente", das für Jahrzehnte Maßstäbe setzte. Bis 1922 erlebte der zum Schluß fast 1.000 Seiten fassende Wälzer 13 Auflagen, er wurde ins Schwedische, Französische und Russische übersetzt. Mehr als 30.000 Exemplare wurden davon verkauft, für ein Fachbuch eine Sensation. Auch in den Dampfkessel-

Ein Fachbuch wird zum Bestseller

Revisionsvereinen, den Vorläufern der heutigen Technischen Überwachungsvereine (TÜV), engagierte er sich tatkräftig.

Vor allem aber machte er aus dem Maschinenbau eine Wissenschaft. 1884 richtete er gegen massive Widerstände (die jedoch - wie sich die Zeiten gleichen - mit fehlenden Geldern zu tun hatten) in Stuttgart die erste deutsche Materialprüfanstalt ein, der schon 1885 ein Ingenieurlabor folgte, deren Nachfolger arbeiten noch immer an der heutigen Stuttgarter Uni. Und dort steht auch eine Bach-Büste, die ihn als "den Altmeister der deutschen Werkstoffprüfung" würdigt, eine weitere findet sich an der Chemnitzer Uni. Zudem führte er Theorie und Praxis, die bis dahin getrennt waren und kaum etwas miteinander zu tun hatten, zusammen. Er wollte, wie er sich ausdrückte, "kein Konversationslexikon, sondern den selbständig denkenden und handelnden Ingenieur". Auch setzte er

Maschinenbau als Wissenschaft

BILD

Das Titelbild der 1. Auflage der "Maschinenelemente". Das Buch erlebte bis 1922 13 Auflagen.

durch, daß ein Ingenieur vor seinem Studium mindestens ein Jahr in der Praxis tätig gewesen war. Vorher war das nur selten der Fall gewesen, die Herren Ingenieure waren sich oft zu fein dafür, sich die Hände schmutzig zu machen und blickten auf die Arbeiter herab. "Der Ingenieur muß dem Arbeiter in jeder Hinsicht ein Vorbild sein", war sein Kredo. Andererseits waren freilich auch die Ingenieure besonders für Juristen und andere Geisteswissenschaftler, aber auch für Naturwissenschaftler lediglich eine Art höherer Handwerker, "ein gebildeter Schlosser", wie Bach beklagte. Und auch dies wollte er (und sollte er) ändern.

Neben der Praxis war ihm auch die Geschichte der Technik wichtig, da man durch sie lernen könne, Fehler zu vermeiden. Auch auf einen Unterricht in Recht, in Verwaltungs- und Volkswirtschaftlehre und sogar in Philosophie legte er Wert - damit war er quasi ein Vorläufer des bundesweit hochgelobten "Chemnitzer Modells", das ja ähnliche Ziele verfolgt. Wie groß sein Ansehen war, zeigen auch Dutzende von Ehrungen, die er erhielt, die -zig Gremien in denen er saß und die Kontakte zu den Großen seiner Zeit. So saß er mit Helmut von Helmholtz im Kuratorium der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt, mit Oskar von Miller initiierte er das Deutsche Museum in München, er war Senator der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (heute Max-Planck-Gesellschaft), Ehrenbürger von Stollberg und Stuttgart, Ehrendoktor der Uni Tübingen und der TH Berlin,

Ein Mann von Adel

Träger des Ehrenkreuzes des Ordens der württembergischen Krone (das berechtigte ihn, den Adelstitel zu führen) und weiterer Orden. Er durfte nacheinander die Titel "Baudirektor", "Staatsrat" und schließlich gar "Exzellenz" führen. Carl von Linde (der erstmals Luft verflüssigen konnte) erwähnt ihn in seinen Memoiren, und Rudolf Diesel räumte ein, ohne ihn hätte er wohl kaum seinen Motor bauen können. Mit dem Grafen von Zeppelin stand er in Kontakt, lehnte dessen Pläne eines lenkbaren Luftschiffs zuerst ab ("Lassen Sie davon ab, Sie verlieren Ihr Geld und Ihren Verstand dabei"), ließ sich aber nach einer persönlichen Unterredung überzeugen: "Sie machen's!".

Der Freund von Diesel und Bosch

BILD

Buch mit persönlicher Widmung von Rudolf Diesel. Der Text lautet: "Herrn Dr.ing. C. v. Bach. Ohne Ihr grundlegendes Werk über den Maschinenbau wäre dieses Werkchen nicht entstanden. In freundschaftlicher Verehrung. Diesel, München, 10. September 1913".

Auch der Stuttgarter Großindustrielle Robert Bosch gehörte zu seinen Freunden. Lange Jahre war Bach auch einer der führenden Männer im Verein deutscher Ingenieure (VDI), wo er zeitweilig 2. Vorsitzender war und 1886 nach dem Tod des 1. Vorsitzenden sogar für kurze Zeit kommissarischer 1. Vorsitzender.

Auch andere Hochschulen rissen sich um ihn. Doch Rufe nach Zürich, Wien und Berlin lehnte er ab. Trotz seines Adelstitels vergaß Bach aber nie seine einfache Herkunft. Seinen Gegnern warf er "einen bedenklichen Hochmut gegenüber dem Arbeiter" vor. Und Freunden schrieb er, der deutsche Zusammenbruch im I. Weltkrieg sei "auf eine verfehlte Politik, ein falsches preußisches Wahlrecht und auf den Kadavergehorsam" in der Armee zurückzuführen, die die Soldaten wie Söldner behandelt habe. Den Kaiser nannte er einen "Dilettanten, der durch sein Auftreten und seine Reden die ganze Welt brüskiert" habe, seinen Sohn, der als Heerführer nach Frankreich gezogen war, gar einen "Hurenbub, den nicht einmal die eigenen Untergebenen noch grüßen wollten". Besonders hatte es ihm die "Milderung der Klassengegensätze" angetan, so der Titel eines seiner Bücher. Er ließ sich auch nicht beirren, als man ihm vorwarf, mit Kriegsausbruch seien die Klassengegensätze doch vollständig verschwunden, schließlich hatte der Kaiser gesagt, "Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche". Allerdings waren für ihn die Klassengegensätze nicht allein wirtschaftlicher und politischer Natur, sie lagen vielmehr auf menschlichem

Gegen Hochmut und Dünkel

Gebiet. Er konnte deshalb fuchsteufelswild werden, wenn die "einfachen Leute" ungerecht behandelt wurden. Bei einem Stuttgarter Gymnasialdirektor beschwerte er sich etwa über Schüler, die sich in der Straßenbahn auf den Sitzen herumlümmelten, während Arbeiterfrauen draußen auf der Plattform stehen mußten. Und auch der Aufgeber der Anzeige "Dipl.-Ing. wünscht eine Dame zu heiraten, die Vermögen besitzt" mußte sich einiges anhören.

Vehement setzte sich Bach auch für gleiche Bildungschancen ein, die es auch den ärmeren Leuten ermöglichen sollten, weiterführende Schulen und Universitäten zu besuchen. Doch Zeugnisse oder Titel allein galten ihm nichts, nur die Leistung zählte. Wie jemand sein Wissen und Können erworben hatte, war ihm dagegen nicht wichtig. "Nach oben strebende Menschen sollten nicht zurückgehalten

Jedem seine Chance

werden, bloß weil ihnen die formalen Schul- und Studiennachweise fehlen", war er überzeugt. Folglich sprach er sich, als um 1915 in Deutschland und Österreich der Ingenieurtitel geschützt werden sollte, dagegen aus - durchsetzen konnten er und seine Mitstreiter sich damit nicht.

Auch als Bach 1922 - mit immerhin schon 75 Jahren - in den Ruhestand trat, kämpfte er weiter für das, was er für richtig hielt. Kurz darauf mußte er erleben, wie mehrere Stiftungen, die er unter anderem in Stollberg gegründet hatte, in der Inflation von 1923 dahinschmolzen. Am 10. Oktober 1931 starb der Mann, der es vom Sattlersohn bis zum Adeligen gebracht hatte und sich dennoch treu geblieben war, in Stuttgart. Dort, auf dem Waldfriedhof, liegt er auch begraben. Doch die Chemnitzer und Stollberger wissen, was sie diesem ungewöhnlichen Mann verdanken.

Die 150-Jahr-Feier

BILD

Ein besonders interessierter Besucher der Bach-Ausstellung im Uni-Archiv war Helmut Loßnitzer. Der 82jährige hatte selbst in den dreißiger Jahren an der Vorläuferin der heutigen Uni Vermessungstechnik studiert. Links im Bild: Dr. Dagmar Szöllösi vom Universitätsarchiv, die die Ausstellung konzipierte.

Deshalb organisierte Prof. Dr. Friedrich Naumann von der Professur für Wissenschafts-, Technik- und Hochschulgeschichte für den 7. März, also einen Tag vor Bachs 150. Geburtstag, eine hochkarätige wissenschaftliche Konferenz in seinem Geburtsort Stollberg. Dort würdigten rund ein Dutzend renommierte Wissenschaftler aus dem deutschsprachigen Raum die Leistungen des großen Maschinenbauers. Unter den Zuhörern fanden sich etliche Angehörige der Chemnitzer Uni, Politiker, Funktionäre des VDI und Stollberger Bürger. Schirmherr der Veranstaltung war übrigens der älteste noch lebende Bach-Enkel, Dr. Rico Steinbrüchel, der zur Feier des Tages eigens aus seinem Wohnort Zürich in der Schweiz angereist war. Der Geburtstag selbst, ein Tag später: In einem großen Festakt wird das Stollberger

Taufe auf "Carl-von-Bach-Gymnasium"

Gymnasium auf den Namen "Carl von Bach" getauft. Ein angemessener Anlaß, einen Kooperationsvertrag mit der TU Chemnitz-Zwickau zu schließen. Schließlich hatte Bach nicht nur an der Vorläufereinrichtung der Uni studiert, sie ist auch heute noch eine Hochschule ganz im Sinne Bachs - nur die Leistung zählt, nicht die Herkunft. Durch die Zusammenarbeit sollen interessierte und begabte Stollberger Schüler gefördert werden. Uni-Rektor Prof. Günther Hecht ließ es sich nicht nehmen, den Vertrag höchstpersönlich zu unterzeichnen.

Auch das Archiv der TU Chemnitz-Zwickau war mit von der Partie: Diplom-Archivar Stephan Luther organisierte in den Archivräumen eine kleine Ausstellung mit den kostbarsten Stücken des hier lagernden Nachlasses. Die alten Bücher, zum Teil mit Widmungen bedeutender Persönlichkeiten, die Urkunden und Briefe wurden nicht nur von den Teilnehmern der Konferenz, die sich extra die Zeit zu einem Besuch nahmen, begeistert aufgenommen. Auch andere Technikinteressierte waren von der bis Ende April dauernden Schau angetan. Die Stuttgarter Uni wird Bach übrigens erst im Sommer würdigen - sie hätte den Termin fast verschlafen und mußte erst von den Chemnitzer Historikern darauf hingewiesen werden.

Freude bei der Großnichte (100)

BILD

Die 100jährige Marie Loßnitzer,Großnichte von Bach (ihre Mutter Klara war seine Schwester), betrachtet interessiert die Skizze von Bach über sein Kanaltunnel-Projekt. Links Frau Loßnitzers Nichte Hildegard Berthold, rechts Spektrum-Wissenschaftsredakteur Hubert J. Gieß.

Am meisten freilich dürfte sich eine alte Dame in der Johannes-Dick-Straße in Chemnitz gefreut haben. Dort nämlich lebt in einem Altenheim Marie Loßnitzer, die Enkelin von Bachs Schwester Klara und mit 100 Jahren die älteste noch lebende Verwandte Bachs. Die rüstige Dame, die noch mit 97 ihren eigenen Haushalt geführt hatte, bekam nämlich Besuch aus der Pressestelle der TU. Die neugierigen Journalisten wollten von ihr mehr und noch authentischeres über ihren Großonkel erfahren, als es in den Büchern steht - Bach als Mensch und nicht als Wissenschaftler. Gern ließ sich die Großnichte auch mit den Originalwerken Bachs fotografieren und von ihrer Nichte Hildegard Berthold (76) aus dem Spektrum 1/1997 den ersten Teil der Serie über ihren bedeutenden Verwandten vorlesen.


Zurück - Inhalt - Vor
HTML-Version von Ralph Meyer, 18. Juni 1997